Kapitulation!

Ich hatte schon Bücher darüber gelesen, aber gemacht hatte ich es noch nie: Pilgern.
In einer Gruppe pilgerten wir bei schönstem Wetter einen halben Tag durch die Innerschweiz. Eine Lightversion für Anfänger. Ohne die Sache mit dem Dauermuskelkater vom wochenlangen Unterwegssein und den Blasen an den Füssen.
Einen Teil der Strecke legten wir schweigend und innerlich auf Gott hörend zurück. Da diese Etappe durch städtisches Gebiet führte, wurde das mit dem Hören vom Himmel ein Ding der Unmöglichkeit für mich. Menschen, Plakate, Villen mit beeindruckenden Gartenanlagen und dazu ein urbaner Soundtrack. Wer dabei die innere Stimme hört, ist zu beneiden. Ich gehöre definitiv nicht dazu. So versuchte ich, mit Hilfe des Tunnelblicks, zumindest ein paar Reize auszublenden. Direkt vor meinen Augen, quasi am Ende des virtuellen Tunnels, baumelte der Rucksack der Person, die direkt vor mir pilgerte. Der Baumwollbeutel war bedruckt mit fünf Buchstaben:
T R U S T. Vertraue. Abgesehen davon schwieg das Stoffding. Und Gott. Ein einziges, kommentarloses Wort? Das kann doch jetzt nicht schon alles sein an Pilger-Inspiration? Eine Aufschrift 1,5 Meter vor meiner Nase. Das war mir definitiv zu naheliegend. Hätte mir eher so ein absolut bahnbrechendes Plauderstündchen mit Gott vorgestellt, ein himmlischer innerer Disput, ein Baumwollbeutel der in Flammen aufgeht, aber doch nicht verbrennt. Dass Gott seine Gedanken über mich und das, was er noch mit mir vorhat, mit mir teilt.

Doch genau dieses Bild mit dem im Gehrhythmus wippenden Schriftzug taucht noch Monate danach immer wieder mal vor meinem inneren Auge auf. Wenn ich von einer Welle negativer Gefühle überrollt werde, sich weit und breit keine Lösung für ein Problem abzeichnet, ich im Alltag feststecke, mein Herz enger und enger wird oder ich mal wieder an mir selber zweifle, baumelt vor meiner Seele: Vertraue! Und lass los!
Der Grund, weshalb ich wohl immer mal wieder daran erinnert werden muss, ist einfach: Ich bin schlecht im Vertrauen. Mir fehlt die Übung. Es geht mir ganz einfach zu gut. Ich hab mehr als ich zum Leben brauche. Bin gesund und jung (ok, nicht mehr ganz so jung), kann anpacken, Dinge selber lösen und hab klare Vorstellungen über so ziemlich alles um mich herum. Ich habe scheinbar alles im Griff. Mein Mann würde wohl sagen, ich bin ein Kontrollfreak. Warum gleich immer so negativ? Na gut. Ich bin ein kleiner Kontrollfreak. Ein klitzekleiner.

Und mitten in diesem Leben, das ich vermeintlich unter Kontrolle habe, gibt es glücklicherweise immer wieder Momente der Kapitulation. Der Duden sagt mir, es ginge dabei um ein resigniertes Aufgeben. Das scheint mir nicht wirklich so passend für mein persönliches Erleben. Ja, ich gebe meinen Stolz auf und erkläre mein Controlling-Drang für besiegt. Meine Kapitulation vor dem Höchsten schmeckt aber nach salzigen Tränen der Erleichterung und kein bisschen nach Resignation. Es ist vielmehr ein entlastendes Eingeständnis, dass ich am Ende meiner Möglichkeiten bin. Aber alles andere als allein.

Vor wenigen Tagen hat mich ein übler Magen-Darm-Käfer erwischt und ich kapitulierte mal wieder. Meine Kräfte haben mich seit Tagen verlassen. Und das genau jetzt, wo 1000 Dinge für die Central Conference erledigt werden sollten. Ich kriege es diesmal kräftemässig und zeitlich nicht mehr hingebogen. Das ist ungewohnt.
Und genau jetzt tauchen die rhythmisch hin und her schwingenden Letter vor meinem inneren Auge wieder auf: T R U S T. Ok, ich vertrau ja schon. Gezwungenermassen. Und lasse los. Meine Vorstellungen, wie was genau hätte gemacht werden müssen. Belasse Dinge, obwohl ich sie noch gerne anders hätte. Lasse stehn und liegen, was ich nicht mehr schaffe und vertraue ihm. Denn ich weiss: Seine befreiende Gnade hat in einem Leben, indem ich vorgaukle alles unter Kontrolle zu haben und alles meistern zu können, keinen Ort, an dem sie landen kann.