„Ja, ich könnte tanzen.“ Theoretisch.

„Wenn niemand was unternimmt, wird er sterben. Das wäre ein Verlust und deshalb starten wir eine Rettungsaktion.“Ein Sprachwissenschaftler über den Konjunktiv

Meine vier Töchter haben sich wohl genau diese Rettung zur Aufgabe gemacht. In ihrem sehr jungen Alter von wenigen Jahren kämpfen sie unbewusst um das Überleben der grammatikalischen Möglichkeitsform. Das tönt in etwa so: „Du wärsch d Königin und ich wär d Dienerin.“, „Ich hetti Hoor bis as Füdli abe, roti Lippe und denn wür en Räuber cho.“ An Fantasie mangelt es meinen vier Mädels selten. An Sätzen im Mundart-Konjunktiv auch nicht. Das mit der Fantasie freut mein Künstlerherz natürlich sehr. Einziger Grund, weshalb ich trotzdem manchmal ausser Hörweite flüchten muss: Ich kann ihre Diskutiererei im Konjunktiv nicht mehr mit anhören. Lass uns endlich aufhören zu besprechen, wer was sein könnte, was passieren und wie alles aussehen würde! Das rufe ich ihnen und mir innerlich zu. Ich sitze nämlich im selben Boot. Sätze in der Möglichkeitsform existieren eine Vielzahl in meinem Kopf. Möglich wäre vieles. Der Konjunktiv bedarf in meinem Leben aktuell definitiv keiner Rettung.

Neulich las ich in einem Magazin Folgendes aus der Feder von Martin Scott:

„Ich dachte nach über meine inneren Haltungen und Überzeugungen; und stolperte über die Textzeile „Ja, ich könnte tanzen“. Und wie immer schloss ich von mir auf andere und landete schlussendlich auf der Pointe, dass ich diese Textzeile als die vermutlich grösste Lüge im deutschen Lobpreis erachte.“

Bin auch ich eine singende Lügnerin, die in der Möglichkeitsform feststeckt? Es besteht natürlich schon ein gewisses Potenzial dazu. In unserer modernen Kirchenkultur, wähle ich mir die Zeilen der gesungenen Gebete ja nicht selber aus. Sie werden mir karaokemässig in den Mund gelegt von den Songwritern der christlichen Welt. Da besteht die Gefahr, das eine oder andere zu singen, was ich nicht so meine – geschweige denn tue. Tanzen vor Freude zum Beispiel. Könnte ich schon. Theoretisch.

Die Bibel liefert uns einige Beispiele von Menschen, die dieses Problem nicht kennen. 1. Samuel 10.5ff erzählt davon, wie der Geist des Herrn über Saul kam. Der eigentlich als depressiv-melancholischer Griesgram verschriene König von Israel beginnt daraufhin in Trance zu tanzen und zu lobsingen. Vom gelähmten Mann, der am Tempeleingang auf Petrus und Johannes trifft und geheilt wurde, heisst es: Er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.(nach Apg 3.1)

Weil ich keine unglaubwürdige Glaubende sein, noch als Retterin des Konjunktivs in die Geschichte eingehen will, suche ich nach Lösungsansätzen.

a.) Ich stelle beim Singen lückentextartig bei jeder Passage, die meine Integrität hart auf die Probe stellt, auf lautlos. Tönt dann in Gottes Ohren wie Lobpreis mit WiFi-Verbindungsproblemen.

Oder b.) Ich überlasse den todgeweihten Konjunktiv gänzlich seinem Schicksal und nehme mir Saul und den Geheilten zum Vorbild.  Wenn ich das nächste Mal vom Geist bewegt bin, an mir ein kleines oder grosses Wunder passiert oder in mir ganz einfach unbändige Freude und Dankbarkeit aufsteigt, singe ich nicht in mitteleuropäisch gemässigtem Ton „Ja, ich könnte tanzen“, sondern springe, laufe, tanze, raste aus.

No matter what. Und du so?