Raus aus dem Highspeed-Hamsterrad!

[Befehlston, schreiend, in hoher Tonlage]: „Uppercut rechts, Uppercut links, rechts, links, rechts, links. Speed it up, guys! Come on! Die letzten SIEBEN, SECHS, VIER, DREI, ZWEI, EINS!“

In etwa so tönt die übermotivierte Instruktorin meines wöchentlichen Trainings. Irgend so ein Mix aus Pilates und Boxing, ein Fitnesstrend, der es bis in mein Provinzkaff geschafft hat. Die Vorzeigefrau nervt mit ihrem durchtrainierten Körper und ihrer blechernen Stimme. Trotzdem funktioniert’s. Ich gehorche ihr bis zur letzten, schweissdurchnässten Minute des stündigen Trainings. Jeden Montag frage ich mich, weshalb ich eigentlich Geld dafür ausgebe, mich anschreien zu lassen.

Noch schlimmer als die Tonlage der Instruktorin und die miefige Turnhalle, ist jedoch der Sound. Das Intervalltraining ist auf 60 Minuten durchgetimt. Ich nehme an, irgendein Fitness-DJ hat dafür extra Songs aus den Charts über denselben Tempo-Kamm geschert. Und das alles, damit wir eine Stunde lang auf Hochtouren herumhüpfen können. Je nach Song bewegt sich das daraus resultierende Klangerlebnis zwischen irritierend und lächerlich. Der Audiofaktor des Trainings scheint niemandem ausser mir aufzufallen. Ich für meinen Teil überlebe die Montagabende nur dank dem Motto: Ohren zu und durch!

Alles wäre bloss halb so schlimm, wenn das einstündige Training der einzige Highspeed-Hamsterrad-Moment wäre. Leider ist das penetrante Ticken des Metronoms in so Vielem um mich herum unüberhörbar. Durchgetaktete Leben. Kinder kriegen, Karriere, Kunst – alles scheint dem Diktat von Produktivität und einer immens hohen Tempovorgabe zu unterliegen. Schnell sein heisst, zu den Ersten gehören. Den Schnellen gehören folglich die Trends, Innovationen und Klicks. So werden in jede Minute noch mehr Beats gestopft und unsere Seele hängt bereits nach den ersten Takten den ambitioniert vorgegebenen bpm hinterher.

In der chinesischen Sprache gibt es bekanntlich keine Buchstaben, sondern Zeichen. Das chinesische Wort für «beschäftigt» besteht aus zwei Zeichen. Dem Zeichen für Herz und dem Zeichen für Tod. Als ich das vor einer Weile irgendwo gelesen habe, stimmte es mich nachdenklich. Wer will schon ein Herz, das langsam abstirbt, nur weil wir ständig beschäftigt sind?

Ich will mir auch die langsamen Songs und Momente geben und mein Herumgehopse an unterschiedliche Tempi anpassen, selbst wenn ich dabei vermeintlich Produktivität einbüsse. Ich will Dinge und Menschen meiden, die nur rennen und nicht auch mal spazieren gehen. Unser Getriebensein ist ein Kurzstreckenläufer, der relativ leicht zu besiegen ist, wenn man ihn auf einer längeren Distanz herausfordert. Das Leben darf auch mal gemächlich fliessen und muss nicht ständig 180 bpm drauf haben.

„Eile ist die Erzfeindin von Freude und Genuss. Sie verstellt den Blick für das Naheliegende und behindert schliesslich auch noch die Gabe, die den schönen Namen Staunen trägt.“ 
Tomas Sjödin

Reiss für einmal den Knopf im Ohr mit dem Time raus und lerne von den Klassikern!

Warum das nächste Projekt oder die nächste Woche nicht mal rubato (frei, nicht im strengen Zeitmass) spielen? Lass uns mutig zurückbleiben, vorauseilen oder hinterherhinken, anstatt immer nur im tempogeladenen Gleichschritt zu gehen. Uns das Gefühl für das freie Zeitmass wieder zurückerobern, anstatt uns den Takt vorgeben lassen. Wie wäre es mit ein paar Beats weniger in der Minute um dein Herz zu beleben?

Chinesisch lernen kann helfen.