Ooh…ooh…Don’t worry, be happy. Bobby McFerrin trällert mir den A-cappella-Hit mit einer Gelassenheit, die mich beinahe schon provoziert, aus dem Autoradio entgegen. Welcher Sender spielt denn bitte 2019 diesen Song noch?
Ist mir schon klar: Mich zu sorgen, bringt mir nichts. Es bringt mich höchstens um den Schlaf. Aber sag das mal meinem Gedankenkarussell! Sorglosigkeit scheint sich trotz der gepfiffenen Feel-good-Melodie nicht so recht ausbreiten zu wollen. Leichtigkeit auf musikalischen Knopfdruck funktioniert anscheinend nicht.
Die Fähigkeit, sich zu sorgen, ist an sich ein sinnvoll eingerichteter Gefahrendetektor. Die perfekte Überlebensstrategie ist als Software-Komponente in unserem Hirn installiert. Eigentlich könnten wir froh sein drum. Nun ist die Sache aber die: Heute steht die Ängstlichkeit, die hinter unseren Sorgen steckt, in keinem Verhältnis mehr zu den realen Gefahren. Wir leben ja nicht mehr im Dschungel, wo hinter jedem Baum ein Raubtier lauert. Unsere Sorgen sind überflüssig, wir könnten grösstenteils mit völliger Unbekümmertheit durch unsere schön dekorierten Wohnungen und Leben spazieren. Trotzdem scheinen wir nicht aufzuhören, hinter jeder Ecke Gefahr zu wittern.
Kürzlich war ich im Gespräch mit einer Sängerin. Auf eine Frage von mir – mit für hier irrelevantem Inhalt – antwortete sie: „Ich habe ganz einfach Schiss.“ Aus einem top ausgebildeten, unglaublich talentierten Menschen spricht die nackte Angst. Die Angst, die nach beissendem Schweiss und Nichtgenügen riecht. Eigentlich total unbegründet und überflüssig, da wir – wir erinnern uns – nicht mehr im Dschungel leben. Trotzdem ist die Angst hier, stinkt und blockiert.
Ein Experiment aus dem Tierreich illustriert genau diesen Punkt: Sperlinge haben eine Menge natürlicher Feinde – Waschbären, Eulen, Falken. Nun überzogen kanadische Forscher ein ganzes Waldstück mit Netzen und sperrten so die natürlichen Feinde der Sperlinge aus. Noch nie konnten sich die Sperlinge so sicher fühlen. Dann bestückten die Forscher den Wald mit versteckten Lautsprechern. In einem Teil des Waldes waren Geräusche von den natürlichen Feinden der Sperlinge zu hören, im anderen Teil des Waldes harmlose Naturgeräusche. Jene Sperlinge, die mit den Lauten ihrer Feinde berieselt wurden, legten 40 Prozent weniger Eier, die Eier waren kleiner, weniger davon wurden ausgebrütet, viele der geschlüpften Küken verhungerten, weil die Eltern aus Angst zu wenig Nahrung anschleppten, und die überlebenden Küken waren schwächer. Das zeigt eindrücklich: Es braucht nicht einmal eine reale Bedrohung, Angst allein kann ein ganzes Ökosystem beeinflussen. Unsere Ängste können uns blockieren und so unsere Kreativität schwächen. Sorgen sind wie imaginäre Gewichte auf unseren Schultern, die uns dann psychosomatisch tatsächlich belasten, obwohl sie nicht existieren.
Jesus sagt in Johannes 16,33, dass es vollkommen normal ist, Ängste zu haben. Andernorts lese ich in der Bibel, dass, wo die Liebe regiert, die Angst keinen Platz hat, da Gottes vollkommene Liebe jede Angst vertreibt. Ja was jetzt nun? Aushalten oder vertreiben?
Während den 3:54 Minuten, in denen mir Bobby McFerrin seine unbekümmerte Happyness um die Ohren pfeifft, klingt in meinem Innern langsam etwas an. «Angst, ist Abwesenheit von Gott», schreibt mein Mann Andreas Boppart im Buch „Neuländisch“. Ich muss meinen Sorgen und Ängsten nicht kämpferisch mit selbstproduzierter Furchtlosigkeit und entschiedener Kühnheit entgegentreten. Die Antwort hat wohl – im Umkehrschluss zur Abwesenheit – eher was mit Gottesnähe zu tun. Ich will nicht aufhören, diese zu suchen. Damit ich nicht plötzlich aufhöre, Eier auszubrüten, nur weil die Feinde aus den Lautsprechern so tun, als ob.