Oft muss es ganz schnell gehen. Zu schnell, wie ich finde. Oder zumindest zu schnell für mich. Für andere wird’s so stimmen, wie’s ist – das Tempo des Lebens. Sonst würden sie mir wohl nicht sagen, dass ich langsam sei. Denn das bin ich anscheinend. Ein Freund sagte mir mal, dass um meinen Bewegungsradius während eines Tages messen zu können, nicht etwa ein Schrittzähler vonnöten wäre, sondern eher ein Bewegungsmelder. Recht hat er. Ich bleibe gerne stehen. Sehe Dinge. Sehe anderen zu. Beobachte. Und frage mich dann, was ich darüber denke.
Ist das langsam? Wahrscheinlich schon. «Achtsam» ist die neuste Umschreibung, damit sich die Langsamen ein wenig besser fühlen. Oder kreativ. Mir persönlich ist das egal. Ist unter dem Strich eh dasselbe. Und obendrein habe ich kein Problem langsam zu sein. Lieber langsam und fröhlich, als schnell und schlechtgelaunt. Okay, ich gebe zu: Schnell und fröhlich wäre auch ne Kombination. Die überlasse ich aber gerne anderen.
Wie eingangs schon gesagt: Oft muss es schnell gehen. Dass war bei der Bäckerei gerade um die Ecke, wo wir unser Büro haben, nicht anders. Die haben erst kürzlich eröffnet. Und anscheinend nicht, weil sie schon fertig mit Bauen gewesen wären. Nein, vielmehr weil die Hunderten und Tausenden von hungrigen Mäuler im expandierenden und hippen Stadtteil Zürichs wirtschaftlich viel interessanter waren. Nicht anders ist es zu erklären, dass das stylish konzipierte Lokal zu Beginn ein Tick zu stylish war – um nicht zu sagen ziemlich karg.
Das änderte sich schlagartig, als ein paar Wochen nach der Eröffnung endlich das richtige Interior geliefert wurde. Ich schlurfte unmittelbar danach eines frühen Morgens schlaftrunken in die Bäckerei und blieb vor Staunen einen kurzen Augenblick stehen. Fette goldene Kronleuchter hingen da plötzlich von der Decke ebenso wie opulente Vorhänge im selben Stoffmuster wie die Sofas. Das war es also, was bis dahin noch gefehlt hatte!
Ich konnte natürlich nicht anders, als meiner Freude über so viel guten Geschmack Ausdruck zu geben und quatschte in der Folge – vielleicht ein wenig übereuphorisch – die Verkäuferin an der Theke an. Diese war offensichtlich in einem ziemlich anderen Film wie ich, wie ich gerade feststellen würde.
Ich so: «Wow, krass, da habt ihr aber nochmals fett Gas gegeben und eingerichtet.»
Sie so: «Nein».
Ich so (ziemlich irritiert): «Ähm, doch. Da hängen ja überall riesige Kronleuchter von der Decke. Und neue Vorhänge habt ihr auch.»
Sie so: «Ach, ja. Stimmt!»
Ihr hättet das Gesicht dieser guten Frau sehen sollen, als sie an diesem stinknormalen frühen Morgen mitten im geschäftigen Zürich für einen ganz kurzen Moment realisierte, an was für einem schönen Ort sie arbeiten darf. Und für den exakt gleich kurzen Moment fühlte ich mich als Langsamer (aka «Achtsamer», aka «Kreativer») der noch Zeit findet, seinen Kopf zu heben und in die Welt hinaus zu schauen, ziemlich nützlich. Okay, ich geb’s zu: Ich fühlte mich noch den ganzen Tag lang so!
Hier ist mein Punkt: Wir brauchen Schönes um uns herum. Als Gegensatz zu allem Schnellen, Gestressten, Gehetzten, Hässlichen oder einfach nur Durchschnittlichen. Ganz einfach, weil es uns ermöglicht, zur Ruhe zu kommen, innezuhalten, den Pausenknopf zu drücken. Noch viel wichtiger aber als das Schöne – und eigentlich kommt mein wahrer Punkt erst jetzt – sind die Menschen, die einen Sinn für das Schöne haben und andere darauf aufmerksam machen, wo es zu entdecken ist. Schönheit kann sich bekanntlich nicht nur in gestalteten Dingen oder in der Natur widerspiegeln, sondern ebenso im Zwischenmenschlichen, im ganz Normalen, gar im Unperfekten. Man muss sie nur sehen können. Ich erachte dies inzwischen als den wichtigsten, vielleicht sogar den einzigen Auftrag von Kreativen überhaupt.
Maggie Rogers* sagte einmal auf ihre Rolle als Musikerin angesprochen:
«It’s my job to see the world and report back. It’s my job to feel things fiercely. And it’s my job to be present.»
Zu Deutsch: «Ich muss mit wachen Augen durch die Welt gehen, intensiv fühlen, was ich sehe, und dann zurückrapportieren.» Dem ist nichts hinzuzufügen. Solltest du dich als kreative Person jemals komisch oder gar nutzlos fühlen, weil du Dinge anders wahrnimmst oder im Alltag länger brauchst als andere. Sieh die Welt. Fühle sie. Und gib das Gefühlte in deiner Sprache wider. Das ist dein Job! Gut möglich, dass dir nicht nur Verkäuferinnen in Bäckereien dafür dankbar sein werden.
* In unserem Büro ist die junge Singer-Songwriterin, die vor ein paar Jahren den Überproduzenten und -musiker Pharell Williams in einer Masterclass sprachlos machte, eine Heldin. Hier kannst du diesen magischen Moment auf Youtube nachschauen.