Ein Text von mir kommt zur Überarbeitung aus der Redaktion zurück. Tausend rote Wellenlinien – mir stockt der Atem. Ein farbiges Meer aus Korrekturen und Kommentaren. Ich sollte aufhören, zu schreiben! Etwas moderater ausgedrückt: Auf diesen Teil des kreativen Schreibens würde ich liebend gerne verzichten.
«Wer nie einen Fehler gemacht hat, hat nie etwas Neues ausprobiert», sagte bereits Albert Einstein. Na gut, irren ist menschlich und Fehlermachen gehört zum System «Lernen» dazu. Setzen wir eine Kleinigkeit in den Sand, ärgert uns das. Fahren wir hingegen die richtig grossen Projekte unseres Lebens an die Wand, tut’s uns und anderen weh. Scheitern fühlt sich so oder so nicht gut an. Erst recht nicht in einer Kultur, die Wert an Erfolg misst.
Déirdre Mahkorn, Psychiaterin der Bonner Universitätsklinik, ist auf Monate ausgebucht. Sie therapiert Musikerinnen und Musiker, deren Angst Fehler zu machen, zu schweren körperlichen Symptomen führt. Dass eine einzige fehlerhafte Passage zu Selbstzerfleischung führt, ist nachvollziehbar, wenn unser Sein direkt am Richtigmachen hängt.
Mitteleuropäer liegen auf den hintersten Rängen im Ranking der positiv besetzten Fehlerkultur. Während sich bei uns wirtschaftlich Gescheiterte mit dem Insolvenzgesetz und ihrem Reputationsschaden herum kämpfen, bekommen in den USA gescheiterte Start-ups für ihre nächste Geschäftsidee Geld von Investoren gesprochen. Die Rechtfertigung: Wer Fehler gemacht hat, hat daraus gelernt und Erfahrungen gesammelt. Und das bedeutet einen Mehrwert gegenüber dem Greenhorn.
Die Geschichte der Wissenschaft erzählt uns in Dauerschleife, dass Fehlschlüsse zu Entdeckungen führen. Und auch Kreativität explodiert, sobald wir uns selber erlauben, Fehler zu machen. «Hinfallen, aufstehen, Krone richten und weitergehen.» Für einmal bedienen wir uns dem Schmalz der Kalendersprüche. Denn im Liegenbleiben werden keine EPs veröffentlicht, keine Bücher geschrieben und keine Stücke auf die Bühne gebracht.
FuckUp-Nights erleben momentan ein Hoch. Treffen, an denen Menschen ehrlich von ihrem Scheitern erzählen. Meine Kritik daran: Sind wir wirklich fähig, aus den Scherben anderer zu lernen oder polieren wir mit dem Wissen, dass der andere auch hingefallen ist nur unseren Minderwert auf? Worin ich übereinstimme: Eine höher Fehlertoleranz muss her! Meine Primarlehrerin hat irgendwann begonnen, unsere Aufsätze statt mit dem Rotstift in Violett zu korrigieren. Ein härziger Versuch. Aber wir brauchen definitiv mehr, um eine Fehlerkultur zu verändern. Wo Fehler in Schuld gemessen werden, ist es zynisch, sie zur Erfolgsgrundlage machen zu wollen.
Ein spannender Ansatz kommt von der Autorin Kathryn Schulz. Sie meint, dass unsere Fähigkeit uns zu irren und unsere Fantasie dieselbe Quelle haben. In beiden Fällen sehen wir die Welt, wie sie nicht ist. Im einen Fall folgt daraus ein Fehler, wir scheitern. Im anderen Fall folgt daraus ein Gedicht, ein Gemälde. Schulz schreibt in ihrem Buch Being Wrong: «Die Kunst ist eine Einladung, uns im Land der Verkehrtheit zu amüsieren.» In diesem Sinne wäre es doch verlockend, öfter zu scheitern, um sich in dieses Land der Verkehrtheit zu verirren und zu erwarten, dass daraus etwas entstehen kann.
In Schweden gibt es übrigens ein Museum des Scheiterns.