Aus meinem Homeoffice dokumentiere ich seit dem 16. März 2020 fast täglich die – oder besser gesagt meine – ausserordentliche Lage. Den Historikern soll für die Nachbearbeitung dieser einschneidenden Epoche nicht das Material ausgehen, darum folgt hier portofreier Nachschub:
Freitag, 17. April 2020
Früher, beim familiären Spieleabend, rief meine Schwester jeweils lauthals «Das isch unfair!» und gewann dann ca. 20 Minuten später das Spiel. Heute erinnert mich das an die lauten Forderungen und Kritiken am Bundesrat betreffend dem Ausstiegsplan aus der Krise. Mit dem Unterschied, das alle Stimmen, so laut sie auch rufen werden, leider nicht gewinnen können.
Samstag, 18. April 2020
Ich habe heute zwei To-Do-Listen erstellt. Eine mit spassigen Dingen und eine mit eher mühsamerem Zeug. Statt «Fun» habe ich – wie wenn es schlecht ausgesprochen wird – «Fön» und «Weniger Fön» als Titel geschrieben. Ich fands noch lustig, bis mir in den Sinn kam, dass die Coiffeursalons bald wieder öffnen und diese wohl ihre «Föns» wieder brauchen.
Montag, 20. April 2020
Sehr geehrte Frau Boesch
Vielen Dank für ihre Ersatzsendung zum ausgefallenen Zürcher Sechseläuten 2020. Ein paar offene Fragen hätte ich aber noch:
- Warum starteten sie diese Sendung nicht um 18:00 Uhr? Hätte dies nicht besser zum Titel gepasst?
- Wurde in der Redaktion eine Wiederholung aus vergangenen Jahren diskutiert? Meine Familie (langjährige treue Zuschauer) ist nämlich der Meinung, dies hätte kaum jemand bemerkt.
- Wie lange hatte ihr Pocket-Böögg? Ich möchte die Zeit gerne im Wikipedia-Artikel zum Sechseläuten ergänzen.
Freundliche Grüsse
Daniel G. aus A.
Mittwoch 22. April 2020
«My Home is my Office» – Die Work-Life-Balance ist aktuell total im Gleichgewicht. Gibt ja keinen Unterschied mehr.
Donnerstag, 23. April 2020
Bis Frau Boesch zurückschreibt, denke ich weiter über angepasste Serafe-finanzierte Fernsehformate nach:
- «Glanz & Corona»
- «Sport veraltet»
- «1 mit genügend Abstand gegen max. 4 andere» (Hier muss die Moderation natürlich mit eingerechnet werden)
- «Mona mittendrin in einem von der Redaktion ausgewählten Zimmer ihrer Wohnung» (Kurzform: «Mona dihei»)
Freitag, 24. April 2020
Das war ein aufregender Tag. Ein selten gewordenes Ereignis stand heute in meiner Agenda: Zugfahrt nach Zürich. Lauschte dabei dem faszinierenden Gespräch im Nebenabteil über Töpferkurse, die unglaublich gelbe Farbe des vorbeiziehenden Rapsfeldes und über die Frage von ihr, ob die Kirche nachher beim «spazifizötlen» auf dem Weg liegen würde. Die Antwort von ihrem Gegenüber kam umgehend: «De ganz Wäg liit ufem Wäg!» – Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen.
Dienstag, 28. April 2020
Habe gestern 30 Sekunden lang aus dem Fenster einem einzelnen Flugzeug zugeschaut, wie es von rechts nach links flog. Heute gibt es leider kein Sequel dieses Blockbusters – es ist bewölkt.
Donnerstag 30. April 2020
Ich habe heute WC-Papier gekauft. War Aktion.
Freitag, 1. Mai 2020
Ich bin in Gründerlaune und überlege mir eine Homeoffice-Gewerkschaft aufzugleisen. Wir fordern kürzere Arbeitswege, mehr Lob vom Chef für stilvolle Möbel, einen effizienten Virenschutz an der Haustür und das Grundrecht auf Trainerhosen sowie Webcampflicht erst ab 10:00 Uhr.
Samstag, 2. Mai 2020
Wie lange soll ich dieses Tagebuch eigentlich noch führen? Dies ist eine rein rhetorische Frage.
Sonntag, 3. Mai 2020
Mein ehemaliger Mitbewohner arbeitet als Videojournalist. Er hat mir Sätze und Überleitungen beigebracht, welche in keinem guten Regional-TV-Beitrag fehlen dürfen. Einer davon war: «Experten warnen: [aktuelles Thema einsetzen]». Ich hab es nicht überprüft, aber zur Zeit ist dieser wohl etwas verbraucht.
Montag, 4. Mai 2020
Meine Frau und ich haben heute analog zum National- und Ständerat in eine Sondersession gestartet. Es ging bei uns aber vor allem um den Menüplan der KW19.
Dienstag, 5. Mai 2020
Fühlt sich heute eher wie ein Mittwoch an. Ist nur meine subjektive Sicht.
Mittwoch, 6. Mai 2020
Heute hat sich endlich die SRF-Redaktion von Frau Boesch gemeldet. Sie haben mir nur zwei von drei gestellten Fragen beantwortet. Da man genügsam sein soll, lasse ich das so durchgehen.
Donnerstag, 7. Mai 2020
Zum Abschluss der ausserordentlichen Session pflanzten heute Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga, Nationalratspräsidentin Isabelle Moret und Ständeratspräsident Hans Stöckli drei Linden auf der Berner Allmend. Nun wissen wir auch, warum die Gartencenter in der Phase 1 der Lockerungen zu finden waren.
Freitag, 8. Mai 2020
Hihi … habe heute Morgen fast 3 Stunden im Pyjama gearbeitet.
Samstag, 9. Mai 2020
In einer Woche feiert dieses Tagebuch das 2-monatige Jubiläum. Würde gerne mit Alain Berset darauf anstossen.
Montag, 11. Mai 2020
Hatte heute eine Idee für ein neues Wort: «Schlangsam» – Wenn es beim 2-Meter-Abstand-Anstehen vor einem Geschäft einfach nicht vorwärts gehen will.
Dienstag, 12. Mai 2020
Die Konzentation und die Qalität lässt glaube ich langsam noch.
Mittwoch, 13. Mai 2020
Heute habe ich mich gefragt, ob ich jemals von Alain Berset den Satz «Gehen sie nach draussen!» hören werde.
Donnerstag, 14. Mai 2020
Der Rekord für die grösste Telefonkonferenz wurde 2012 aufgestellt und umfasste 16972 Teilnehmer, welche min. 10 Sekunden gleichzeitig in der Leitung waren. Für die grösste Videokonferenz wurde bis jetzt noch kein Rekordhalter im Guiness Buch der Rekorde registriert. Aber ich habe ein gutes Gefühl für 2020.
Samstag, 16. Mai 2020
Ich demonstrierte heute gegen Demos. Es war eher ein stiller Protest Zuhause.
Montag, 18. Mai 2020
War heute Desinfektionsmittel degustieren im Einkaufszentrum Sihlcity. Fazit: Ein durchzogener Jahrgang!
Dieses Tagebuch ist inspiriert von Ursus Wehrlis Buch «Heute habe ich beinahe was erlebt».