Steh auf und iss!

Oft fehlt mir die Lust, mich unvoreingenommen Geschichten der Bibel zu nähern, die ich bereits seit Sonntagsschulzeiten kenne. Ausgeleierte Erzählungen, die mich an die Moltonwand erinnern, auf der die Leiterin mit Filzfiguren versucht hat, die biblischen Geschichten zum zweidimensionalen Leben zu erwecken. «Die Tochter des Jairus»? Been there, done that, got the T-shirt. Und das schon unzählige Male. 

Ist mir völlig klar, dass Gottes Wort so nicht funktioniert und meine Haltung läppisch ist. Aus diesem einfachen Grund schlage ich die Bibel trotzdem immer wieder auf, besuche die Orte, an denen ich schon so oft war. Mit grösstmöglicher Unbefangenheit machte ich mich also auf zur «Tochter des Jairus»:

Jesus wird ins Haus von Jairus gerufen, er soll die kranke Tochter heilen. Als er endlich dort ankommt, ist das Mädchen bereits tot, laute orientalische Totenklage ist zu hören. Bittere Enttäuschung über das Timing von Jesus. Jesus reagiert – aus meiner heutigen Sicht – nahezu anmassend. «Das Kind ist nicht gestorben, sondern es schläft.» Was für eine Frechheit, im Angesichts des Todes und des unendlichen Schmerzes einer Mutter und eines Vaters eine solche Hoffnungsansage zu machen. Die herumstehenden Leute «verlachten ihn», schreibt Luther. Ich kann sie verstehen.

Dann die berühmten Jesusworte: «Talita kum. Mädchen, steh auf.» Das Mädchen steht tatsächlich auf. Mit wackeligen Beinchen und Schlaf in den Augen tappt sie durchs Zimmer. So stell ich mir das zumindest vor. Die Szene im Haus des Jairus endet mit Jesu Befehl an die Eltern, dem Mädchen etwas zu essen zu geben. 

 

«Mädchen, steh auf.» Diese Jesusworte klingen echoartig in mir drin und meinen mich. Das ist nicht einfach das Happy End einer Bibelgeschichte, sondern erzählt mir von einem Neuanfang. Davon, sich von der vermeintlichen Realität nicht das Unerwartete rauben zu lassen. Und einmal mehr den Hintern hoch zu kriegen für die Dinge, die das Aufstehen wert sind. Das spricht zu meiner weissen, privilegierten Bequemlichkeit und Lethargie. Nach zig Wochen verordnetem Stillstand muss ich mich – bei aller Freude über die neu gewonnenen Freiheiten – wieder zur Bewegung motivieren. Und damit meine ich keine täglichen Turnübungen, sondern vielmehr meine Offenheit, mich bewegen zu lassen. Im Liegen zu philosophieren war gestern!

Aufstehen und essen. Das tönt in meinen Ohren zutiefst körperlich und konkret. Gar nicht kompliziert. Der 1. Schritt auf wackeligen Beinen fordert kein grandioses Heldentum von mir, sondern darf naheliegend, ja sogar banal sein. Das Schläfrige und Starre zurück lassen und sich stärken mit Handfestem für das, was bevorsteht. 

In meinem Schrank hängen schon ziemlich viele T-shirts, meine biblische Souvenirsammlung ist beträchtlich. War trotzdem oder gerade deswegen eine gut Entscheidung, loszuziehen und nicht den lächerlichen Globetrotter auf dem Sofa zu spielen.