Applaus, Applaus

Zwei Unzertrennliche haben diesen Sommer wieder zusammengefunden: Kunst und Klatschen. Nach Monaten der Trennung nun die Wiedervereinigung. Natürlich zählen im digitalen Zeitalter auch Click-Zahlen, Händeklatsch-Emojis und Online Kommentare als würdiger Beifall. Aber es geht doch nichts über das analoge Klangerlebnis eines tosenden Applaus. 

Ein Problem mit zu viel des Guten aus dem Publikum hatten wohl nur die Beatles. In der ersten Hälfte der Sechzigerjahre, als sie Weltruhm erlangten, artete das mit dem Klatschen regelrecht aus. Der Beifall der Fans war so laut (und die damaligen Beschallungsanlagen so schwach), dass die Musik vom Publikum übertönt wurde und sich die Band ab Mitte 1966 auf das Musizieren im Studio beschränken musste. In Zeiten der Quarantäne haben wir eher das gegenteilige Problem.

Wer alleine Heimkonzerte gegeben oder von der Theaterbühne aus lediglich der Kameralinse in die Augen geschaut hat, kennt das Aushalten der Stille zwischen den Songs und Szenen. War das jetzt eigentlich gut oder schlecht? Wenn der letzte Ton eines Liedes von der Ruhe geschluckt wird, fühlt sich das nach Implosion an. Unnatürlich irritierend. Da, wo doch eigentlich ein Resonanzraum eröffnet werden sollte, erstreckt sich eine öde Einbahnstrasse. So sollte es nicht sein, sagt der Bauch. Funktioniert nur teils, der Kopf. Der Applaus, heisst es sprichwörtlich, sei das Brot des Künstlers. Verhungern ist nicht schön, das wünschen wir niemandem.

Der ausbleibende Applaus hat doch aber auch etwas Gutes. Oder zumindest was Selbstprüferisches. Ich lebe ja nicht, um anderen zu gefallen. Oder vielleicht doch mehr als mir lieb ist? Eine gewisse innere Unabhängigkeit vom Applaus der Tribüne ist für den eigenen Weg, der scheitern kann, unabdingbar. Ganz im Sinne der US amerikanischen Autorin Susan David:

«Free yourself to create music – not applause.»

Befreit Kunst schaffen und dabei die Feedbackkultur nicht überhöhen, den Aussenstimmen auch mal mit Ignoranz über den Mund fahren. Was andere von mir und meiner Kunst denken, geht mich streng genommen gar nichts an, das geht die anderen etwas an. So zumindest ein psychologischer Ansatz. Feedback sagt unendlich viel mehr über den Feedbackgeber als über den Feedbacknehmer aus. Sollte es mich also kümmern? Die Herzchen, die Likes, das Nicken, verhaltene Hüsteln, die Buhs oder der tosende Applaus?

Das kulturelle Leben kommt nur schleppend zurück. Noch nicht allzu viele Gelegenheiten, um wieder richtig herzhaft in die Hände zu klatschen, zu stampfen, sich in einer Standing Ovation mitreissen zu lassen und in freudiges Gejohle und Bravorufe einzustimmen. Die Realität: Im Maximum ein paar Brotkrumen für Künstlerinnen und Künstler aus dem dezimierten Publikum.

«When you do something noble and beautiful and nobody noticed, do not be sad. For the sun every morning is a beautiful spectacle and jet most of the audience still sleeps.» – John Lennon

PS: Das Zitat funktioniert wunderbar als Selbsttest. Auf einer Skala von 0–10: Wie abhängig bin ich von Applaus, wenn die Morgensonne der Gradmesser dafür ist?