Mir wei kener Wiiber

Das grösste Kompliment und die beste Kritik, die eine Künstlerin im 19. Jh. bekommen konnte, war:

«Sie malt wie ein Mann.»

Vor einer halben Ewigkeit sass mein Teenager-Ich in der Kantonsschule in Schaffhausen im Schwerpunktfach Bildnerisches Gestalten in einer Unterrichtsstunde zum Thema Bauhaus. (Falls das mit der Kunstgeschichte bei dir zu lange her ist: Damit ist nicht die Baumarktkette gemeint, sondern die 1919 gegründete Kunstschule.) Ich war fasziniert vom Revolutionären und Neuen, wofür die einflussreichste Bildungsstätte für Architektur, Kunst und Design des 20. Jahrhunderts stand. So hörte ich von Gropius, dem Gründer und lernte die Arbeiten von Klee, Kandinsky und anderen kennen – allesamt Männer. Anscheinend war das künstlerische Talent geschlechterspezifisch verteilt. So oder ähnlich speicherte mein pubertäres Hirn die Fakten ab. Auf die Idee, dass Frauen rund ums Bauhaus genauso gut bildhauern, Möbel designen und Bilder malen konnten, diese Tatsache aber in meinem dicken Wälzer der Kunstgeschichte mit keinem Wort erwähnt wurde, kam ich mit 17 Jahren nicht.

Heute weiss ich, dass Frauen bereits in der Antike Gedichte und Dramen verfassten, komponierten und malten. Und, dass man seit der Renaissance, der Zeit, in der die Kunstschaffenden erstmals begannen, ihre Werke zu signieren, die Namen von Bildhauerinnen, Malerinnen und Illustratorinnen kennt. Der Unterschied zu ihren männlichen Kollegen ist keinesfalls ihr Mass an Begabung, sondern, dass sie von der Geschichtsschreibung komplett ignoriert wurden. In der Berichterstattung der unterschiedlichsten Epochen stösst man auf unzählige Künstlerinnen. Sobald sie aber tot waren, wurden sie vergessen. (Ok, Frida Kahlo kennen 2020 wohl alle. Aber auch nur, weil ihre Selbstbildnisse gerade gut mit unseren Interior Design Trends matchen.) In einem Lexikon der Kunst von 1987 sind von 3000 Einträgen 37 Frauen, davon sind nur drei mit einer Abbildung vertreten. Die Siebzehnjährige in mir fühlt sich irgendwie betrogen. Ihr wurde die weitläufige Meinung aufgetischt, es hätte eigentlich keine namhaften Künstlerinnen gegeben.

An sich wäre das ja nicht mal verwunderlich, da Frauen bis um 1900 keine Kunstakademien besuchen durften. Privatunterricht oder sogenannte Damenklassen waren die einzige Möglichkeit, das Malen zu lernen. «Mir wei kener Wiiber», so die klare Ansage von Ferdinand Hodler, dem Schweizer Maler und Präsidenten des Künstlerverbandes anfangs des 20 Jh.. Der Ausschluss galt bis 1972. Im Kunstschaffen wurden den Frauen andere Rollen zugeteilt: Muse und Modell. 1995 fragten die Kunstaktivistinnen Guerilla Girls deshalb, ob Frauen nackt sein müssten, um ins Metropolitan Museum zu kommen. Nur 5 Prozent der da ausgestellten Werke waren von Frauen, aber 85 Prozent der Aktbilder stellten Frauen dar.

Lange galt, Frauen könnten nachahmend kreativ tätig sein, nicht aber selbst schöpferisch. Männer, so glaubte man zudem, könnten dreidimensional sehen und deshalb Häuser und Skulpturen bauen, Frauen hingegen nur zweidimensional denken und sollten sich daher auf flächiges Arbeiten konzentrieren. Weben beispielsweise.

„Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib.“

(Maler und Bühnenbildner Oskar Schlemmer)

 

Wenn ich das heute so höre bleibt mir eigentlich nur eines: So schnell wie möglich zu meinen vier Töchtern rennen. Damit sie nie auf die Idee kommen, künstlerische Begabung könnte ausschliesslich Männersache sein, muss ich ihnen – und meinem siebzehnjährigen Ich – von Grete Stern, Elisabeth Vigée-Lebrun und Angelika Kauffmann erzählen. Noch nie gehört, die Namen? Wikipedia wird dir helfen und dabei klarmachen, dass das Thema auch 2020 noch nicht gegessen ist.