Die Sache mit der Kirche und der Musik

Kirche und Musik. Das ist ja so eine Sache. In den vergangenen Jahrhunderten sind großartige Werke entstanden. Musik, die bis in die heutige Zeit relevant ist. Die Werke die z.B. ein J.S. Bach für die Kirche geschrieben hat, waren damals wie heute große Kunst! Auf der anderen Seite haben sich Päpste, Bischöfe und Kirchenväter sämtlicher Epochen darum herum gewunden, was oder wie die Kirchenmusik zu sein hat, was sie darf und was nicht. Da gab es z.B. 1545 ein Konzil in Trient, auf dem darüber gestritten wurde, was eine «anstößige Melodie» ist und was nicht. Schon damals. Ist das nicht total verrückt?

Jahrhunderte lang war die Kirche der zentrale Auftraggeber für Kunst und Musik. Dadurch hat sie unsere Kunst- und Musikgeschichte maßgeblich geprägt.

Es brauchte einige hundert Jahre, bis sich die Kunst von der Kirche emanzipierte und Kunstschaffende keine Handwerker im Dienste der Kirche mehr waren, sondern eigenständige Schöpfer*innen, Komponist*innen und Autor*innen.

Die Kirche blieb aber dabei, ihre Kunst mit religiöser Intention zu verknüpfen. Und das ist bis heute in sämtlichen Strömungen der Kirche allgegenwärtig. Die Frage, die sich uns stellt, ist, ob das in einer weitestgehend säkularisierten Gesellschaft noch «State of the Art» ist.

Mit Entstehung der Popmusik entwickelte sich in der «evangelikalen Bewegung» (überwiegend in den USA und Europa) die sogenannte «christliche Musikszene». Die Volkskirchen verpennten diese Entwicklung komplett. Während sie weiter vor sich hinorgelten, entstand bei den Evangelikalen ein Paralleluniversum zur «weltlichen» Musikszene. Zu fast jedem säkularen Act gab es ein christliches Pendant. Das Motto: «Why Should The Devil Have All The Good Music». Was damals einer Revolution glich, wirkt heute im Rückblick irgendwie einfältig. Die Musik wurde von den Christen in zwei Schubladen gepackt. «Christliche» und «nichtchristliche» Musik. Die Künstler*innen haben das zu jener Zeit nicht hinterfragt. War man Christ und begabt, war es völlig klar, dass man «christliche Musik» machte. Es war eine vielfältige Kultur aber eben auch nur eine Subkultur. Diese Vielfalt gibt es heute nicht mehr, wohl aber diese Blase, in die vor gut 20 Jahren ein Genre gerückt ist, das derzeit den christlichen Markt und damit die Musik in den Freikirchen und zunehmend auch in den Volkskirchen bestimmt: Worship.

Es gibt schon diverse Bücher, Podcasts etc. von namhaften Künstler*innen und Autor*innen, die sich kritisch mit «Worship» auseinandersetzen. Ich selbst war lange Jahre in der «Worshipszene» als Interpret aktiv und kam an einen Punkt, an dem ich, ob der theologischen und musikalischen Einseitigkeit, aussteigen musste. Inzwischen sehe ich sie auch noch aus anderen Gründen kritisch. Ist es nur die «Macht der Gewohnheit» oder ist es doch der schnöde Mammon, der so viele Beteiligte daran hindert, sich offen und ehrlich mit der Kritik auseinander zu setzen? Vermutlich liegt die Wahrheit wie so oft in der Mitte. Klar ist, dass Hillsong, Bethel & Co zu wahren Franchise Unternehmen geworden sind, die mit Lizenzen, Tantiemen, CD Verkäufen usw. Millionen umsetzen. Das hat der Endverbraucher aber nicht wirklich auf dem Schirm. Dass aus einer anfänglichen Bewegung mittlerweile ein irrwitziger Kommerz geworden ist, fällt den wenigstens auf.

Künstler*innen und Bands mit Ecken und Kanten finden heute in den Kirchen nicht statt.

Die christlichen Verlage importieren unaufhörlich Musik aus den USA, England und Australien. Eine wahre Flut an Songs. Eine Überschwemmung an Compilations auf denen gefühlt jeder Song gleich klingt.

Aber es wäre zu leicht nur die Industrie allein dafür verantwortlich zu machen. Die Konsument*innen haben auch einen nicht zu geringen Anteil daran. Seit Jahren wird das Gleiche gesungen. Ist es nicht bezeichnend, wie sehr sich die Christen an eine bestimmte Art von Lyrik gewöhnt haben? Ein «kanaanäischer»Liederwortschatz, den man in einer zwanzigminütigen Liturgie auswendig lernen kann. Ist es nicht seltsam, dass jenseits von Kirche die «Spoken Word» Bewegung boomt und Wortkunst gefeiert wird aber ausgerechnet die Christen aus dem Land der Dichter und Denker geben sich sonntäglich mit flachen Phrasen zufrieden?

Die modernen Freikirchen, die die steife Liturgie und den angestaubten Charakter der Volkskirchen lange Zeit belächelt haben, weil sie glaubten, mit ihrer Art von Musik voll en Vogue zu sein, haben heute selbst formatierte Gottesdienstabläufe, in dessen Mitte der «Worshipteil» wie der heilige Gral steht. Das Gotteslob verkommt zur schlageresken Wohlfühlmusik. Ich bin kein Fan von Kardinal Ratzinger. Aber in einer Sache bin ich mit ihm d’accord:

«Eine Kirche, die nur noch Gebrauchsmusik macht, verfällt dem Unbrauchbaren und wird selbst unbrauchbar.»

Der Schlager-Vergleich mag auf den ersten Blick hart klingen aber er kommt nicht von ungefähr. Aus Musikersicht und im handwerklichen Vergleich findet man da viele Parallelen. Dennoch haben auch Schlager und Worship durchaus ihre Berechtigung – sind auch eine Form von Kunst, wenn auch eher «trivialer» Art. Aber ist das wirklich alles, was die Kirche der heutigen Zeit an «Kunst» zu bieten hat? Die moderne Kunst und Musik will nicht in Schubladen gepackt werden und schon gar nicht in «christlich» und «nichtchristlich». Für Künstler*innen der jüngeren Generation ist Kunst selbstverständlich erstmal zweckfrei. Sie zeigt sich, lässt sich sehen oder fühlen, bevor man fragen kann, was und wem sie nützt. Das ist in meinen Augen der grundsätzliche Unterschied zwischen Kunst von heute und den vergangenen Jahrhunderten.

Wo sind die Musiker*innen, jenseits von Worship? Die meisten spielen ihre Musik nicht mehr in der Kirche. Wo sind die Textschreiber, die mit geschliffenen und poetischen Worten die Hände in unsere gesellschaftlichen Wunden legen, die unsere (Glaubens-)Zweifel, unsere großen Fragezeichen und unsere Euphorie in Worte packen, dass einem das Herz überfließt? Die wenigsten sind in der Kirche. Wo sind die Instrumentalisten, die uns mit ihrem Spiel in andere Spähren beamen? Nicht in der Kirche. Kann es sein, dass für ihre Art von Kunst kein Platz ist? Oder liegt es daran, dass die Kirche, egal ob Volks- oder Freikirche noch immer meint, die Kunst müsse einen bestimmten Zweck erfüllen?

Die Kommerzialisierung des Worships hat noch einen weiteren bedauerlichen Nebeneffekt. Viele «christliche» Songwriter*innen, international sowie national, haben ihre Kunst immer wieder dem Mainstream angepasst, um den Anschluss nicht zu verlieren. Viele wollten auf der Worshipwelle mit schwimmen.

Vielen Künstler*innen wurde der Raum genommen, frei zu denken und sich zu entfalten. Immer nach dem Motto: «Hier geht es nur um Gott. Kirche braucht ja keine Popstars».  Zusammengenommen hat das meiner Meinung nach dazu geführt, dass die Kirche derzeit bei einer ungesunden Einseitigkeit angekommen ist..

Nach gut zwanzig Jahren braucht es ein Umdenken bei allen Beteiligten. Musik und Kunst kann Menschen mit Kirche in Berührung bringen. Und das ohne religiöse Intention. Die Kirche besitzt hier ein Potential, dessen Kraft und Tragweite sie ganz offenbar noch immer nicht erkannt hat. Wenn Sie gesellschaftlich relevant sein will, dann kommt sie nicht drum herum, der individuellen Kunst einen maßgeblichen Anteil einzuräumen. Wenn das passiert, davon bin ich zutiefst überzeugt, wird uns das alle in eine ungeahnten Weite führen.