Vor vier Wochen haben wir auf diesem Kanal einen Beitrag unseres Freundes Johannes Falk, seines Zeichens Musiker und Songwriter, zur «Sache mit der Kirche und der Musik» veröffentlicht. Der Text schlug hohe Wellen, wurde viel beachtet, kommentiert und kritisiert. In insgesamt weit über hundert, teilweise sehr emotionalen, Kommentaren hauptsächlich auf Facebook. Der Grund? Johannes stellte eine in seinen Augen «ungesunde Einseitigkeit» fest, wenn es um den theologischen und musikalischen Gehalt der Musik in der Kirche geht. Von «schlageresker Wohlfühlmusik» und dem «Genre Worship» war die Rede. Und Johannes stellte die Frage, ob Kunst jenseits von «Worship» in der Kirche von heute überhaupt noch vorkommen kann. Oder nochmals anders formuliert: Ob Kunst im Dunstkreis der Kirche immer eine «religiöse Intention» haben muss oder nicht auch mal «zweckfrei» sein darf.
Die ersten Reaktionen fielen (nebst ein paar Zustimmungen) hart und emotional aus. Teilweise verständlich, schließlich war der Text nicht gerade zimperlich geschrieben. Es sei undifferenziertes «Worship-Bashing», wurde gekontert. Und es wurden verteidigende Voten für die vielen Frauen und Männer (oft Laien) hervorgebracht, die Woche für Woche mit großer Hingabe und ohne den Anspruch «sich selber verwirklichen zu wollen» Menschen in die Gegenwart Gottes führen. Worship wurde als «mehrheitsfähige» Musik verteidigt und der Gottesdienst als das, was er eben ist – der Dienst «für Gott».
Soweit die Fronten zu Beginn. Fronten, die sich in den Tagen danach aufeinander zuzubewegen begannen und (für Facebook-Diskussions-Verhältnisse) in eine doch sehr anregende, verständnisvolle und um Lösungen ringende Diskussion mündeten. Gerade weil einige konstatierten, dass man im Moment noch nicht «über eine Problembeschreibung hinaus» komme, erlaube ich mir eine (persönlich gefärbte und völlig unvollständige) Analyse der Diskussion in ausgesuchten Häppchen. Here we go:
- Dem Vorwurf des «Einheitsbreis» stellt sich postwendend die Pauschalverurteilung der Selbstverwirklichung (a.k.a. Narzissmus) gegenüber
- Wo Kunstschaffende Raum etwa für «Zweckfreies» fordern, wird auf Kirchenseite die Frage aufgeworfen, ob und weshalb die Kirche solche Kunst überhaupt fördern (a.k.a. honorieren) soll – es geht also bei Kunst auch immer um Geld
- Und wenn wir schon beim lieben Geld sind: Worshipmusik als Genre resp. als Branche triggert und wirft die Frage auf, was von der Masse gewünscht und deshalb auch gefördert (a.k.a. finanziert) wird – und natürlich ob kommerzielles Denken (insbesondere in der Kirche!) fair ist
- Erstaunlich oft wurde unterschieden, ob Kunst im Gottesdienst oder außerhalb stattfindet – anscheinend gibt es für Kunst von Christinnen und Christen im Gottesdienst also gewisse Regeln. Oder treffender: Außerhalb des Gottesdienstes bedeutend weniger.
- Viele fühlen sich missverstanden: Kunstschaffende von der Kirche. Und Kirche von Kunstschaffenden. Die Folge? Kunstschaffende «müssen» die Kirche verlassen oder ziehen sich zurück, einige «verstummen», wie sie in der Diskussion selber sagen.
Gerne würde ich diese – bitte verzeihe mir den Ausdruck – Detailfragen für den Moment einmal aussen vor lassen und davon berichten, was ich als Musiker in meinen rund 20 Jahren Weg in der Popkultur und in Kirchen entdecken durfte:
Selbstverwirklichung und Narzissmus unterscheiden beide interessanterweise nicht, ob sie innerhalb oder außerhalb von Kirchenwänden auftreten wollen. Das Urteil darüber, ob und bei wem sie denn anzutreffen sind, ist heikel bis unmöglich – und wenig empfehlenswert. (Die Frage sei erlaubt: mit welchem Gewinn denn überhaupt?) Und wenn wir schon gerade bei Grenzen sind, die nicht so eindeutig gezogen werden können: Gottesbegegnungen und Wow-Momente fragen in der Regel nicht, ob es sich hier gerade um professionelle Kunst oder um Laienkunst handelt. Und sie fragen auch nicht um Erlaubnis, wen sie wie oft und in welchem Moment erfassen dürfen. Interessanterweise können kunstvoll gestaltete Liturgien ebenso begünstigen, dass man sich Gott nahe fühlt, wie das wahnsinnig schlechte Qualität nicht per se verhindern kann (Predigten im Sinne der Wortkunst mit eingeschlossen).
Eben genau weil die Grenzen rund um die Fragen, was jetzt noch in einen Gottesdienst gehört und was nicht mehr; was jetzt religiöse Intention und was zweckfrei ist; was schön, gut, richtig, demütig, übertrieben, anregend oder anrüchig ist nicht wirklich gezogen werden können – weder wissenschaftlich, theologisch noch emotional – haben uns als Kunstnetzwerk vor vielen Jahren drei Buchstaben ganz neu berührt und auf eine Reise geschickt: S.D.G. (Soli Deo Gloria). Gott allein die Ehre, wie das etwa ein Johann Sebastian Bach vor über 250 Jahren unter viele seiner Partituren schrieb.
Wenn Kreative sich mit einem Lebensstil des «Soli Deo Gloria» auseinandersetzen, werden sie herausfinden, dass darin eine Kraft liegt, die Kunst und Kirche zusammenbringen kann. Und sie werden herausfinden, dass sich Kunst und Kirche trotz jahrtausendelanger gemeinsamer Geschichte nicht einfach so bedingen. Aber dass man um sie ringen (a.k.a. auch mal diskutieren und kritisieren) muss, wenn beide Gott im Zentrum haben sollen.
Gerne ende ich mit ein paar Fragen und Gedanken* im Sinne eines Blicks in die Zukunft, einem offenen Schluss. Ich finde das für die ganze Diskussion gewinnbringender. Und kunstvoller 😉
- Wenn Christinnen und Christen heute so vielseitig und durch alle Sparten hindurch künstlerisch tätig sind: Wie kommt’s das die Liturgien in den Landes- und Freikirchen so einseitig sind? Und muss das sein?
- Unser Leben braucht Wiederholung (a.k.a. gutes Wiederkehrendes, Gewöhnliches, Übung, Struktur, Liturgie), um überhaupt Ereignis (a.k.a. Aussergewöhnliches, Kunstvolles, Gottes Geist) erfahren zu können. Doch wie können sich Kirche und Kunst begegnen? In der Liebe zur Wiederholung und in der Hingabe ans Ereignis. Und: Die Liturgie bereitet dem Ereignis in der Kirche den Weg, doch das Ereignis weht wo es will. (Danke Dr. Matthias Krieg!)
- Wenn Johannes Sebastian Bach als «gutes» Beispiel für das Zusammenspiel von Kunst und Kirche ins Feld geführt wird (was er zweifelsfrei ist!), sollte auch bedacht werden, dass er zum Beispiel in ständigen Lohnverhandlungen und generell mit seiner Bezahlung unzufrieden war; dass seine Kunst innerhalb der Kirche als zu opulent, zu anreizend und zu selbstverwirklichend abgestempelt wurde – genauso wie ausserhalb der Kirche als zu fromm; dass ihm die Qualität oft zu ungenügend, zu wenig professionell war; dass er heute fast für alle als zugänglich, damals für viele als nicht verständlich galt: und so weiter und so fort.
- Kirche und Kunst haben einige Gemeinsamkeiten. Etwa diese: Kirche, die keiner versteht, verstummt, ebenso wie Kunst, die niemand versteht.
- In dieser Hinsicht auch noch den: Christinnen und Christen tendieren dazu Antworten zu geben auf Fragen, die niemand gestellt hat. (Danke Eva Jung!) Kunst hingegen geht oft den anderen Weg und stellt Fragen, auf die niemand eine Antwort weiss.
- «Ist er [Christus] nur an dem Bereich interessiert, den wir für geistlich oder religiös halten? Oder ist er an jeder Facette unseres Lebens interessiert – Körper, Seele, Verstand und Geist? Die Art von Kunst, die wir als Christen erschaffen, wird unsere Antwort deutlich werden lassen.» (Steve Turner in seinem Buch «Imagine»)
In diesem Sinne: Anregendes Weiterdenken. Und: Soli Deo Gloria!
* Die meisten davon kamen vor ein paar Jahren bei einem Symposium für Kunst und Kirche (ja, liebe Leute, das gibt’s!) zusammen und haben mir und uns neue Fragen und Welten eröffnet.