29 ºC im Schatten. Ich ziehe die schwere Holztüre zur Kirche auf. Vom grellen Mittagslicht geblendet, sehe ich in den ersten Sekunden im Innenraum des 70er- Jahre-Baus nur Grau. Kühle Luft umgibt mich. Ich setze mich in die hinterste Bank. Terracotta Fliesen am Boden, viel Beige und Braun an den kahlen Wänden. Die metalligen Nummern hängen verloren an der Liederanzeigetafel. Einzig durch die Fenster blinzeln mir ein paar Farben und Formen zu. Sie sind in der klaren Minderheit an diesem Ort.
Um 1524 zieht der Reformator Zwingli mit einigen anderen Priestern und Entscheidungsträgern in die Kapelle des Grossmünsters in Zürich ein. Zwingli zeigt auf dieses und jenes Bild. Die Herren entfernen die Stücke, dann wird der Altar abgerissen. Eine spektakuläre Aktion während der Zürcher Reformation. Vorausgegangen waren Diskussionen und Abstimmungen über die Abschaffung der Bilderwerke. In Zürich entschied der Rat, dass innerhalb eines halben Jahres «man die götzen und bilder mit züchten hinweg tuon sölle, damit dem Wort Gottes statt geben werde»[1]. Durch den Einfluss Zwinglis wurden Bilder, Statuen, das Orgelspiel und der «Singsang» so systematisch entfernt wie nirgendwo sonst in dieser Zeit.
Noch heute hängt den Evangelischen immer mal wieder das Image der Sinnes- und Kunstfeindlichkeit an. Ursprünglich war’s etwas anders gedacht. In der Berner Disputation von 1528 sagte Zwingli: «Bilder (zu) machen, zu vereerung, ist wider gottes wort, desshalb, wo sy in gefar der vereerung vorgestellt (werden), syend (sie) abzutuen».[2]
Ich verstehe das so: Der Mann hat nichts gegen Bilder, sondern gegen das Missverständnis, das Falsche zu verehren.
«Die Reformation wendet sich einzig gegen das magische Denken in der Anbetung von Gottesdarstellungen»[3],
sagt der Theologe Matthias Krieg, ehem. Leiter der Stabstelle Theologie der Zürcher Landeskirche in einem Interview dazu.
Alles lange her. Heute ist Kirche längst wieder ein Ort auch für die Kunst, vielfältig, klangvoll und bunt. Seit 10 Minuten sitze ich nun auf dem dunkelgrünen Sitzpolster der hintersten Bank. Ich bin unsicher, ob das wirklich zutrifft. Was mich hier umgibt ist nichts als ein in den 70er Jahren neu erbautes, ausgeräumtes Gotteshaus. Nichts soll vom Eigentlichen ablenken, nichts soll selber leuchten. Auf mich wirkt es trostlos. Was ich heute gebraucht hätte, findet sich nicht in diesem kargen Raum. Wenn da nur irgendein bildhafter Hinweis wäre.
Schöpfer, Burg, Feuer, Schirm, Glucke, Hirte, Hand, König, Quelle, Mutter, Sonne, Freund. Nur zwölf der über hundert Bilder, die die Bibel malt. Mir ist völlig klar, dass komplexe Realitäten nie in einem Bild aufgehen. Bilder sind begrenzt. Gott ist keine Burg. Er ist auch Freiheit, Weite, Trost und Nähe.
Aber ohne Bilder und Metaphern bleibt der Glaube für mich abstrakt, verdunstet, ohne dass ich etwas davon nehmen und mit meinem Leben verbinden kann.
In diesem Sinne wünsche ich mir, dass die Kunst in der Kirche ihren Platz findet. Wir sollten sie nicht reflexartig verdächtigen, uns abzulenken. Her mit dem Feuer und Wasser, mit Bäumen und Reben, Engeln und Kreuzen! Zurück zur uralten, bildreichen, christlichen Tradition, die den Menschen selbst als Bild Gottes begreift.
Noch immer sitze ich auf der Kirchenbank. Weil das Beige der Wände kein bisschen zu mir spricht und ich ansonsten nichts finden kann, stimme ich ein Lied an. Das erste, das mir in den Sinn kommt.
Du bist ein wunderbarer Hirt
Der mich zu frischem Wasser führt
Du hast so reich gedeckt
Des Königs Tisch für mich, für michDu bist mein Stecken und mein Stab
Und wandre ich im finstren Tal
Fürcht ich kein Unheil mehr
Denn du bist hier bei mir, bei mirIch komm, ich komm
An deinen Tisch, ich komm
Ich komm und ich bin gewiss
Du bist mein wunderbarer Hirt
(Aus «Wunderbarer Hirt» von Lothar Kosse)
[1] [2] Von der Befreiung der Bilder (Petra Bahr) | ekd.de ↩
[3] Schluss mit dem Anti-Bilder-Reflex (Reinhold Meier) | kirchenbote-sg.ch ↩