Sowohl … als auch

Ich kann mich noch gut erinnern an die Diskussionen nach dem Gottesdienst über die Liederauswahl.

Zu weit weg vom Thema, zu oft das Wörtchen «ich» im Text, zu englisch, zu geringe Tiefe, zu alltagsfern, theologisch zu abgehoben, zu viele Strophen, zu trivial, zu viele Wiederholungen, zu alt, zu neu, eine zu komplizierte Melodieführung.

Man kann sich gerne etwas aussuchen. Irgendein «zu» findet sich in den Gesprächen rund um Liedgut auch heute noch in fast jeder Kirche. Mich hat das früher, in den vielen Jahren als Lobpreisleiterin, wirklich beschäftigt. Es war nicht die Sorge, es allen recht machen zu wollen. Aber ich dachte lange selbst, es gäbe wohl DIE richtige Ausdrucksform, die es zu suchen gilt. 

Letzte Woche wurde ich unerwartet zurück zu diesen Fragen geworfen. Wie das passieren kann? Ich joggte ahnungslos im Wald. Je nach dem wie lang die Route wird und wieviele Minuten der von mir ausgewählte Podcast dauert, kann es passieren, dass ich dank Autoplay nach meiner 1. bewussten Wahl, einfach irgendetwas auf die Ohren bekomme. So landete ich bei Martin Benzs «Movecast» und der Erinnerung an diese mühsigen Diskussionen beim Apéro nach dem Gottesdienst. Danke Martin für deine wertvollen Erläuterungen zu 2. Mose, 15. (Hier nachzuhören) Ich sage es hier in meinen eigenen Worten gerne weiter: 

Im 2. Mose 15 begegnen uns zwei Texte. Zwei Lieder, um genau zu sein. Das  eine von Mose, das andere von Mirjam, seiner Schwester. Vorausschicken muss man vielleicht, dass das ganze Volk im Kapitel zuvor aus Ägypten ausgezogen ist und dann verfolgt wurden. Hinter ihnen die Armee, vor ihnen das rote Meer. Es gab eigentlich nur 2 Möglichkeiten: ertrinken oder niedergemetzelt werden. Da tat sich unerwartet eine 3. Option auf: Das Meer teilte sich, sie kamen trockenen Fusses hindurch und die Gefahr war gebannt. Die Reaktion auf dieses Wunder: Lobpreis.

Zwei Lieder, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Moses Lied hat 18 Strophen. Er packt die ganze Story, Dankbarkeit, Lob, das Wesen Gottes von A–Z in seinen Song hinein. Mirjams Lied kommt mit gerade mal einer einzigen Strophe aus. Die aber in Endlosschleife. Dazu nimmt sie das Tamburin und bewegt sich dazu. Ein Popsong – wenn man so will. Die Frauen schliessen sich ihr an. Im Reigen tanzend und Pauke schlagend. Ich stelle mir das ziemlich extatisch vor. Viel Rhytmus, viel Körper – das ganze Programm.

Mirjams Songwriting ist weder trivial noch flach, nur weil sie sich auf einen Vers beschränkt. Sie wählt einfach nur einen anderen Weg als Mose. Durch ihr Lied wird keine neue Erkenntnis gewonnen, sondern eine neue Fröhlichkeit, eine neue Lebendigkeit. Es geht um Sinnlichkeit, Euphorie und Kreativität. 

In demselben biblischen Kapitel ist beides abgebildet.  Ich lese daraus: Es hat beides seine Berechtigung. Da ist Raum für beides. Es muss nicht immer entweder oder sein. Sowohl als auch – ist auch eine Option. Das Tiefe und das Leichte, das Inhaltsreiche und das Wenige, sich Wiederholende, Ausgefallenheit und Ernsthaftigkeit.

Hirn an und Herz auf! 

Wie wir das nun mit kreativen Elementen während unserer Treffen hinkriegen, könnten wir ja nächsten Sonntag nach dem Gottesdienst besprechen.

 

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