Die Welt dreht sich. Die Dinge ändern sich. Menschen erfinden sich neu. Alles wird ständig anders. Das Ende eines Jahres hingegen kommt verlässlich wie eh und je daher. Pünktlich wie immer. Und auch etwas konservativ. Die Szene seit abertausenden von Jahren die selbe:
Ein Jahr geht. Das nächste kommt. Dieses Skript bleibt unverändert.
Heruntergebrochen auf unser kleines Leben, bietet sich diese Szene für Rückschau und Standortbestimmung an. Tönt nach Geschäftsabschluss oder auch nach kreativer Selbstorganisation mittels Bullet Journal. Beides nicht ganz das, was ich meine, zu beobachten. Wir schauen uns vielmehr einfach in der Tagesschau die Bilder vom 2021 an, #SPOTIFYWRAPPED ploppt auf und wir ziehen daraus irgendwelche Schlüsse über uns und das vergangene Jahr und unsere Socialmedia Accounts erinnern uns an unsere angeblich highlightigsten Momente. Das lässt uns auf der Skala von happy, dankbar bis ernüchtert, deprimiert an einem bestimmten Punkt zurück. Anscheinend war das unser 2021.
Nach Weihnachten und vor Neujahr befinden wir uns sprichwörtlich «zwischen den Jahren». In der Schweiz die sogenannte Altjahrswoche. Ein Schwebezustand, den ich am liebsten durchgehend im Pyjama verbringe. Gute Filme, Bücher, ein bisschen frische Luft vielleicht. Die Dinge von Weihnachten liegen noch herum, der Baum immer noch geschmückt, die Weihnachtsplätzchen schmecken plötzlich nicht mehr so lecker wie noch im Advent. Es liegen ritualgesättigte Tage hinter uns. Einmal jährlich wiederholen wir Dinge. Ein Besuch, ein Gericht, eine Geschichte, eine Handlung, eine Musik. Das ist manchmal wunderschön und anstrengend zugleich. Dann wird der Vorhang geschlossen.
Wir stossen mit etwas Prickelndem auf das neue Jahr an und zeitgleich mit den kleinen Blasen im Glas steigen die grossen Fragen auf.
(Das wäre dann der Moment mit grossem standortbestimmendem Anteil drin.) Tue ich das Wesentliche? Oder erstickt das Leben, das ich eigentlich führen möchte in allem Nötigen und Dringenden? Weil diese Fragen nach dem Sinn meist ein bisschen zu gross sind für unsere kleinformatigen Tage, kommen uns die guten Vorsätze gelegen. Die sind nicht ganz so philosophisch und ausufernd, sondern schön handlich und konkret. Weniger Chips, wieder mehr mit Menschen, weniger Plastik, mehr Sport, weniger Bildschirmzeit und auf jeden Fall mehr Empathie und Achtsamkeit. In der Feuerwerksluft schwirren unglaublich viele Funken von Vorsätzen herum.
Ich persönlich fasse mir keine guten Vorsätze. Aber sich darüber Gedanken zu machen, was ich vermehren will und wovon weniger nicht schaden würde, scheint mir keine Dummheit zu sein. Dabei gilt es, den richtigen Modus zu finden und nicht bereits wieder überfrachtete Erwartungen an sich selber aufzutürmen. (Die Sache mit dem Pyjama hilft mir beim Finden des richtigen Modus ungemein.) Hier also aus dem Stand heraus meine unvollständige Weniger-Liste:
Ständig beschäftigt sein, immer nur gefallen wollen, grübeln, Sachen, Zynismus, streiten und besser wissen, Unruhe.
Meine Wunschliste für Mehrs:
Bücher zu Ende lesen, Kirschen vom Baum essen, auf die leisen Töne achten, Konzerte und Museen besuchen, Gott suchen, künstlerischer Ausdruck, nackt baden, Frieden stiften, ohne Ziel losfahren.
Zugegeben: Das ist ganz schön viel, was ich will oder wovon ich zu viel habe. Vor allem für jemanden, der sich keine guten Vorsätze fasst. Aber hey: Ziele setzen gehört nun mal zu diesem Standortbestimmungsding dazu. Also keine Angst vor den grossen Fragen.
Pyjama an! Vorhang auf!