Resonanz

Letzten November habe ich im Rahmen der Crowdfunding Aktion von Central Arts verraten, welche fünf Bücher zu diesem Zeitpunkt auf meinem Nachttisch lagen. «Resonanz» vom Soziologen Hartmut Rosa war eines davon. Ein dicker Schinken. Für alle, die keine 815 Seiten lesen aber trotzdem mitdenken wollen: Hier so etwas wie eine klassische Buchzusammenfassung. 

Das ganze Themenfeld 1x aufgerollt

Wenn Privilegierte gegen Geflüchtete hetzen, wenn Wohnungssuchende einander anfeinden, wenn Verkehrsteilnehmer frühmorgens schon ausrasten, dann wird deutlich: Irgendetwas stimmt nicht. Anscheinend haben wir ein Problem. Der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt. Rosas Theorie beschreibt, was den Kern eines friedlichen Miteinanders ausmacht: Ein direkter, offener und interessierter Austausch mit unserer Umwelt. Wenn wir einander aufmerksam begegnen entsteht das, was wir in der Alltagssprache «Vibes» nennen. Ob wir unser Leben als gelungen oder glücklich empfinden, hängt davon ab, wie sehr wir uns mit der Welt verbunden fühlen. Rosa würde sagen: «Ein erfüllendes Leben steht und fällt mit der Qualität unserer Weltbeziehung.» Blöd nur, dass wir unser Glück stattdessen in Ressourcenreichtum suchen. Wir optimieren die Ausgangslage, verbessern unsere Chancen mit Geld, Beziehungen und Wissen.

Wir sammeln Ressourcen für ein gutes Leben. Damit sind wir so beschäftigt, dass uns das Gefühl abhanden kommt, was «ein gutes Leben» genau ist. 

Der Begriff der Resonanz ist von Rosa ganz bewusst aus der Akustik entlehnt. Lateinisch «resonare» heisst wörtlich übersetzt «widerhallen». Der soziologische Begriff ist also eine Metapher für unsere Fähigkeit, auf die Schwingungen unserer Umwelt zu reagieren. Eine Geschichte rührt uns zu Tränen, wir erwidern ein Lächeln, unsere Stimmung steht und fällt mit dem Wetter draussen. Wir Menschen berühren, bewegen und erregen einander im ständigen Austausch.

 

Der Körper – von Haut und Unmittelbarkeit

Unser Körper ist essentiell für unsere Weltbeziehung. Unsere Haut ist die sensible Scheidewand zwischen aussen und innen, den Reizen der Umwelt und dem eigenen Selbst. Unser Problem damit: Wir spüren ihn immer seltener. Für unsere Urahnen war der eigene Körper ein tägliches Werkzeug. Heute gehen wir weder jagen noch sammeln. Stattdessen bedienen wir Geräte, die für uns den Job machen. So entsteht ein indirekter, entkörperlichter Zugang zur Welt. Gleichzeitig ist der Körper zur Projektionsfläche unserer Selbstdarstellung geworden. Wir stülpen unser Selbstbild nach außen. (Durch unseren Style, Kleidung ect.) Unterwerfen den Körper dem eigenen Willen und gestalten ihn durch Selbstdisziplin (Ernährung, Sport ect.) Die Nebenwirkung von all dem: Wir werden uns fremd. Zudem kommunizieren, informieren und entspannen wir uns mit Hilfe unserer digitalen Endgeräte. Dabei gehen uns die Möglichkeiten abhanden, die Welt unmittelbar mit unseren Sinnen zu erfahren.

 

Empfindungen – von Wow und Igitt 

Unser emotionales Verhältnis zur Welt kann grundsätzlich zweierlei Formen annehmen. Die Weltausschnitte, zu denen wir Gefühle entwickeln erscheinen uns attraktiv oder repulsiv. Dinge in der Welt sprechen uns an oder stoßen uns ab. Grundsätzlich sind es die angenehmen Dinge, die Resonanz auslösen: Genuss, Schönheit, Extase, Erfüllung, Verbundenheit, Belohnung. All das treibt uns an, weckt in uns Begehren, befeuert unsere Neugierde und unsere Lebenslust. Solange uns Empfindungen bewegen, entsteht Resonanz. Repulsive, abstossende Dinge führen nicht zu Resonanz. Beispielsweise lässt uns Angst bloss erstarren. 

 

Simulation – von Sehnsucht und Verarschung

Wir sind soziale Wesen, die das Gefühl brauchen, Teil einer grösseren Gruppe und Wertegemeinschaft zu sein. Daher sehnen wir uns nach echter Resonanz. Was wir bekommen, ist aber oft nur eine Simulationen. Unsere Resonanzsehnsucht wird im Kapitalismus verdinglicht, auf Gegenstände umgemünzt und kommerzialisiert. Alles soll ansprechend sein. Der Duft der Seife auf dem Klo, der Hintergrundsound im Café, das Lichtkonzept des Kaufhauses. Wozu all diese Dinge? Damit wir resonieren – und als Folge davon – konsumieren. Resonanz wird zum Produkt. Erfahrungen werden heraufbeschworen und erzwungen. 

 

Beschleunigungslogik – von Hü und Brr

Unser modernes Leben folgt einer Steigerungslogik, die nicht mit Resonanz vereinbar ist. Kapitalistische Steigerung geht Hand in Hand mit der Beschleunigung. Eine Gesellschaft zählt heute nur dann als modern, wenn sie sich durch Dynamik stabil hält. Wachstum, Beschleunigung, Innovation. Verweigern wir uns dem Steigerungsimperativ, droht der Absturz. (Firmenbankrot, Jobverlust ect.) Der Kern des Problem: Alles hat Grenzen. 

In einer zur Steigerung verdammten Welt müssen wir uns ständig neu erfinden.

Je schneller sich die Welt verändert, desto schneller müssen wir laufen, um unseren Platz darin zu sichern. Je mehr wir hetzen, desto weniger Zeit bleibt für bedeutungsvolle Resonanz. 

Globale Krisen, wie wir sie heute kennen, sind symptomatisch für unseren fehlenden Bezug zu einander, zum Leben und zur Natur. Auf die Frage, wie wir da wieder rauskommen, gibt es weder schnelle Antworten noch eine simple Checkliste. Nach Rosa müssten wir uns zur postwachstumsgesellschaft weiter entwickeln. Wirtschaft und gesellschaftliches Miteinander anders denken. 

 

Fünf Sätze – Die Zusammenfassung zusammengefasst

Resonanz – das körperliche und emotionale Mitschwingen mit unserer Umwelt – ist der Schlüssel zu einem erfüllten Leben und einem guten Miteinander. In der Resonanz fühlen wir uns lebendig und verbunden. Nur: Wir stecken in einer Resonanzkrise. Weil in der tiefen kapitalistischen Steigerungs- und Wachstumslogik immer weniger Platz ist, um uns ohne kompetitive Hintergedanken mit uns und der Umwelt zu befassen. Um die komplexen Krisen unserer Zeit zu bewältigen, müssen wir die Wachstumslogik überwinden. 

 

E voilà! Macht damit, was ihr wollt! Ich gehe erstmal einen Kaffee trinken und danach vielleicht ein paar Bäume umarmen. 😉

 

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