Manchmal ist Arbeit angesagt. Dann wieder Vergnügen. Die Disziplinierten unter uns glauben zu wissen, dass die Arbeit vor dem Vergnügen kommt. Andere haben für sich entdeckt, dass es auch gerade andersrum funktioniert. Anspannung, Entspannung; Einübung, Ausübung; Hinwendung, Anwendung; das Gewöhnliche und das Außergewöhnliche. Wie auch immer das Verhältnis dieser Paare bei dir ausschaut: Du wirst mir wahrscheinlich zustimmen, dass beide Seiten in deinem Leben vorkommen.
Vor Jahren hat mir ein Freund, der mittlerweile pensionierte Germanistiker und reformierte Theologe Dr. Matthias Krieg, mit seiner Sichtweise geholfen, diese Gegensätze zu umarmen. «Wiederholung und Ereignis» heißt das dann in seinen Worten. Gerade weil er dabei sein Augenmerk auf Kunst und Kirche richtet, wurde mir sein Ansatz inzwischen zu einem hilfreichen Schlüssel für meine Spiritualität und mein Kunstschaffen.
Wir streben als Menschen nach dem Bedeutungsvollen, dem Außergewöhnlichen.
Luther nennt es «Sehnsucht nach der Seligkeit», die «uns mit unserer Natur mitgegeben ist». Es ist also ganz okay, gewissermaßen gottgegeben, dass wir uns nach dem Ereignis sehnen. In der Kunst erleben wir es vielleicht als besonderes Glücksgefühl, als Flowzustand, als Moment nahe an der Perfektion oder als magische Interaktion mit dem Publikum. Doch was braucht es, damit ein solch seliger Moment überhaupt eintreffen kann?
Zunächst einmal: Die eben beschriebene Sehnsucht und die Fähigkeit, das Ereignis wahrzunehmen, wenn es denn tatsächlich geschieht. Aber noch viel entscheidender:
Wiederholung.
Wiederholung.
Und nochmals Wiederholung.
Wenn wir Dinge wiederholen – man könnte auch sagen: wenn wir üben – machen wir uns demütig und bereit dafür, wenn das Ereignis eintritt. Demütig deshalb, weil Wiederholen in der Regel nicht das Oberprickelndste ist. Das weiss die Künstlerin, die ihre Fingerübung am Instrument macht, solange bis diese sitzen und sie sich bereit für das Konzert fühlt. Das weiss aber auch der Beter, der sich frühmorgens noch halb im Schlaf hinkniet, um mit Gott das Gespräch zu suchen. Und das wissen solche, die regelmäßig einen Gottesdienst besuchen, wohlwissend, dass da vermutlich dieselbe oder eine recht ähnliche Liturgie wie beim letzten Mal auf sie warten wird.
«Wiederholen kann ich nur das Ereignislose», sagt Peter Handke, und das Ereignislose kann auch einfach – let me google that for you – mit öde, eintönig, oder gleichförmig übersetzt werden. Logisch kann das anstrengend, demütigend, vielleicht sogar langweilig sein. Aber das ist gut so. Denn wenn das Ereignis schließlich überraschenderweise eintritt, sind Askese und Disziplin einzig und alleine dazu da, um sie augenblicklich zu vergessen und den Moment zu genießen!
Was also haben Spiritualität und Kreativität gemein? Beide brauchen Liebe für die Wiederholung und Hingabe ans Ereignis.
Vielleicht hilft dir das ja, wenn du das nächste Mal keinen Bock auf Gottesdienst, Gebet oder künstlerische Routine hast. Ich für meinen Teil bin froh, dass ich als Musiker dank jahrelangem Üben im stillen Kämmerlein schon das eine oder andere Ereignis erleben durfte. Das hat meinen Glauben dafür gestärkt, dass es sich mit Gott nicht anders verhält.
Von seinem Geist, «dem Wind», heißt es, dass er «weht wo er will» (Johannes 3,8). Eine Berührung mit ihm lässt sich also weder mechanisch herbeiführen noch kontrollieren. Doch je mehr wir für ihn durch demütiges und wachsames Einüben günstige Rahmenbedingungen schaffen, desto mehr erhöhen wir die Chance, dass er tatsächlich auftaucht.
Eines meiner sich gelegentlich wiederholenden Gebete lautet deshalb: «Geist Gottes, ich respektiere, dass du überall dort wehst, wo du willst. Wenn’s dir nichts ausmacht, darfst du auch gerne hier bei mir. Ich möchte bereit sein für dich.»