Gib mir ein «Mimimi»

Kennst du das: Du sitzt an einem Freitagabend in Schlabberhose und mit zerzaustem Dutt zu Hause auf dem Sofa und klickst dich durch die Storys von Künstlerfreunden. Sie werden in wenigen Minuten ein Konzert geben, ihre Vernissage eröffnen, einen neuen Release releasen oder die vielen Reaktionen auf den releasten Release feiern. Du verfolgst diese aufregenden Momente vom Wohnzimmer aus und bist stolz, so viele talentierte Menschen zu kennen und Teil ihres Erfolgs zu sein. Tja also ich kenne das eigentlich nicht. Ich bin dann eifersüchtig oder fühle mich unbedeutend.

Ich gebe es nicht gerne zu, aber ich gehöre nicht zu denen, die Limonade daraus machen, wenn ihnen das Leben Zitronen gibt. Ich schimpfe lieber darüber, wie sauer die Zitronen sind!

Die Menschen um mich herum scheinen mir zufriedener, gelassener, angekommener und eben: erfolgreicher als ich. Vielleicht auch nur erfolgreicher darin, zufriedener zu sein. Aber auch das ist beneidenswert. Eifersucht hat bei mir wenig mit den Menschen zu tun, die sie auslösen, sondern vielmehr mit meinen Träumen und Erwartungen an mich selbst.

Wenn der Freitagabend-Blues anklopft, gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Schmerz zu releasen. Hier ein paar Varianten: 

  1. Ich geniesse den Wein, den ich gerade trinke, schaue mal kurz bei meinen schlafenden Kindern rein und sage mir, dass ich alles richtig gemacht habe.
  2. Ich kippe den Wein hinunter, setze mich heulend ans Klavier und gebe mir selbst ein Privatkonzert.
  3. Ich kippe den Wein hinunter und heule einfach.

 

Alle drei Strategien sind mir vertraut. Diesen Text zu schreiben war eine vierte.

Das Leben ist hart. Zu allen. Es ist kein Bastelbogen und es gibt kein Rezept, mit dem sich Träume verwirklichen lassen. Einige gehen in Erfüllung, andere nicht. Unsere Träume halten uns am Leben, oder lassen uns innerlich sterben – es liegt ganz bei uns. Eine Freundin hat einmal zu mir gesagt: «Stell dir vor, es gäbe nichts mehr, wovon wir träumen könnten. Was hätte das Leben noch für einen Sinn?»

Seit ich versuche, das so zu betrachten, gelingt es mir öfter, diesen tiefen Sehnsuchtsschmerz nicht als zerstörerisch, sondern lebenserhaltend wahrzunehmen. Er treibt mich zwar manchmal ins Loch, aber er treibt mich auch in die Verarbeitung, in die Kreativität, in die Arme von Freunden – und in Gottes Arme. Was, wenn nicht ungestillte Sehnsucht, Trauer, Wut und Einsamkeit soll uns in diese Arme treiben?

Oft geht bei mir so ein Abstecher in die tiefen Abgründe meiner Seele auch einer unglaublich produktiven Phase voraus.

Die Tatsache, dass ich offensichtlich Schmerz brauche, um Kunst zu schaffen, stört und verblüfft mich gleichermassen.

Es ist doch verrückt; wir können uns einsam fühlen, obwohl wir umgeben sind von lieben Menschen. Oder sehnsüchtig sein, obwohl wir alles haben. Diese verwirrenden Gefühle geben uns manchmal den Kick, den wir brauchen. Aber sie können auch destruktiv werden, wenn wir sie nicht rechtzeitig wieder loslassen. Dankbarkeit und Jammern liegen manchmal so nahe beieinander, dass es uns schon mal «trümmlig» werden kann.

Ich mag die Melancholie. Sie ist eine Art erwähltes, kunstvolles Leiden. Eine Flamme, die dir Feuer unter dem Hintern macht, ohne dich zu verbrennen. Und genauso mag ich den Humor. Dem Himmel sei Dank für diesen wunderbaren Freund. Er knallt mir immer wieder schmunzelnd das «Mimimi» ins Gesicht, das ich so verdient habe.

Meine Devise: Solange ich noch über mich selbst lachen kann, geht es mir gut.

Wir sollten zusehen, dass wir immer genug zu lachen haben. Unser Fokus liegt von Natur aus eher auf dem, was fehlt – also auf dem Nichtlustigen. Das müssen wir unbedingt ausgleichen, um gesund zu bleiben.

Ich wünsche mir mehr süsse Sehnsucht anstelle von Unzufriedenheit. Mehr Lebensfreude. Die Fähigkeit, mich selbst nicht so wichtig und auch nicht so ernst zu nehmen. Ich will mich von Herzen über den Erfolg der anderen freuen und meinen eigenen nicht an seiner öffentlichen Sichtbarkeit messen.

 

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