Ohne falsche Zurückhaltung

Es fühlt sich an wie eine Ohrfeige, ein Pfeil mitten ins Herz, das eindringliche Läuten des Weckers, den du nicht abstellen kannst. Jetzt bist du wach. Du spürst etwas. Du bist auf-merk-sam.

Kennst du diese Momente, in denen dich plötzlich eine Information aus deinem Alltag reißt und du eine unfreiwillige Einladung zur Konfrontation erhältst?

Es ist die Auseinandersetzung mit etwas, das wir oft nicht so gut aushalten: Schmerz, unangenehme Gefühle, Mitgefühle.

Ich nenne es bewusst nicht negative Gefühle, weil diese im Ursprung erst einmal nichts Schlechtes darstellen, sondern uns viel mehr Einblick in unsere innere Welt geben. Das Entscheidende ist wie wir dann mit diesen Gefühlen umgehen.

Wie reagierst du, wenn du Schmerz von innen oder außen wahrnimmst?

Verdrängen? Zulassen?

Mir tut es gut zu wissen, dass es jemanden gibt, der mich versteht. Weil er selbst Mensch war. Weil er selbst gefühlt und gelitten hat. Weil er sich hineinversetzen kann und Empathie seine Idee war. Weil er versteht. Weil er einfach weiß, wie es ist.

Wie der biblische Poet David frage ich mich aber in manchen Situationen dennoch:

«Warum bist du so unruhig in mir meine Seele?»

Die Antwort darauf habe ich oft nicht.

Und genau in diesem Moment, in dem Worte nicht reichen, entfaltet für mich die Gitarre ihre magnetische Wirkung. Bei dir ist das vielleicht der Blick durch die Linse, die Leinwand oder das Studio. Eins ist klar: die Gefühle müssen raus; ohne Filter; ohne Blatt. Zumindest nicht vor dem Mund.

«Musik drückt aus, was nicht gesagt werden kann, und worüber zu schweigen unmöglich ist.»

Dieses Zitat von Victor Hugo begleitet mich schon lange auf meinem Weg. Warum?

Weil es uns einlädt, nicht zu warten, bis die Gefühle passé sind, sondern uns auffordert unseren Gefühlen freien Lauf zu lassen – ihnen Ausdruck zu verleihen.

Jemand hat einmal gesagt, dass Kunst ihrer höchsten Bestimmung nachkommt, wenn sie nicht nur zu uns, sondern FÜR uns spricht. Hast du bei einem Lied, einem Foto oder einer Tanzchoreografie schon einmal gespürt, dass jemand genau das ausdrücken konnte, was du gerade fühlst? Genau dieses Gefühl des Verstandenwerdens können wir mit unserer Kunst schenken, ohne den «Beeindruckten» jemals persönlich zu treffen.

Das verspüre ich auch in den Psalmen, in denen David seine ehrlichen Gefühle in Lieder, Poesie und Gebete gegossen hat.

Wir müssen keine Angst vor Verletzlichkeit mehr haben, weil Gott uns versteht und er uns Kreativität gegeben hat, um diese auszudrücken.

Unser Ausdruck verwandelt sich dann in eine Einladung für Menschen, genau das Gleiche tun zu dürfen und vielleicht sogar dadurch diesem Gott zu begegnen. Ohne Blatt vor dem Mund.

 

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