Kunst jetzt? – Erst recht!

Kürzlich bin ich bei der Schweizer Philosophin Barbara Bleisch auf das Gedicht «An die Nachgeborenen» von Berthold Brecht gestossen: «Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist», fragt Brecht darin.

Es sind Kriegszeiten. Und diese sind elend, ungerecht, unmenschlich, unerträglich.

Zuallererst für die Direktbetroffenen. Sie sind aber auch schwierig einzuordnen für Indirektbetroffene oder Unbeteiligte. Muss man den Krieg adressieren? Wenn ja wie? Und wenn man es nicht tut: Macht man sich dann der Gleichgültigkeit, gar der Dummheit schuldig? 

Die Überforderung vieler Kreativer ist jedenfalls förmlich spür-, hör- und nachlesbar wenn man sich aktuell so durch ihre Kanäle wühlt. Vieles kommt entschuldigend, ratlos, oft auch aufgesetzt daher. Zugegeben, das Timing ist auch wirklich fies. Wir sind noch nicht einmal richtig aus den schwierigen Pandemiejahren raus. Und nun dieser Krieg. Ausgerechnet jetzt, wo es endlich nach so etwas wie einem Ende der Misere ausgesehen hat! 

Tja, der Krieg, der alte Partykiller, hat sich noch nie wirklich um Timing geschert. In einer globalisierten Welt ist dieses aber ohnehin relativ.

Längst müssen wir die Gleichzeitigkeit der Dinge aushalten können und sind dafür als Menschen mit begrenzter Aufmerksamkeitsspanne und nur langsam nachwachsenden emotionalen Ressourcen doch relativ schlecht gerüstet.

Herrschte nicht gerade Krieg in der Ukraine, es gäbe sonst auch noch das unsägliche Ertrinken im Mittelmeer, die alleingelassenen Frauen in Afghanistan oder die Klimakrise, um nur ein paar andere drängende Themen in Erinnerung zu rufen. Es gibt also immer irgendeinen Grund, um überfordert zu sein. Auf jeden Fall ist es keine Schande. Die Frage bleibt jedoch: Was tun angesichts dieser Perspektive?

«Krieg und Pop: lieber nicht» lautet der Titel eines amüsanten Artikels in der ZEIT, in welchem der Kulturjournalist Tobi Müller die diesjährige Grammy-Verleihung verriß, weil der Krieg in der aalglatten Veranstaltung zum peinlichen Kitsch verkam. Hätten die Veranstalter den Krieg gar nicht thematisiert, wäre bestimmt auch dagegen irgendein Artikel geschrieben worden, so viel steht fest.

Dennoch finde ich die aufgeworfenen Fragen von Müller gerade für Kunstschaffende äußerst interessant: «Hätte es die Kunst, die Musik, den Jazz, den Hip-Hop und den Country wirklich abgewertet, wenn man den Krieg nicht zur eigenen Sache erklärt hätte? Würde es nicht eher für die Stärke der ausgezeichneten Künste sprechen, wenn sie Mitgefühl, Menschlichkeit, Schmerz und ja, auch Freude, als Werte inszenieren könnten, die auch jenseits solcher Bilder und Metaphern Bestand haben?»

Mein Rat an euch, ihr lieben Kreativen da draußen:

Wenn ihr in diesen finsteren Zeiten malt, schreibt, tanzt, gestaltet, sprecht oder irgendwo einen Song anstimmt, dann tut das mit der Haltung und dem Glauben daran, dass eure Kunst als solche Bestand hat.

Dass sie tröstet, rettet, heilt, bewegt, ohne dass ihr sie entschuldigen müsst. Selbst dann, wenn sie ihren Dienst zunächst vielleicht nur an euch selber tut (das ist doch schon mal ein Anfang!).  

Dort, wo wir die Musik, die Bilder und die Geschichten uns und anderen gegenüber allzu sehr erklären und rechtfertigen müssen, verlieren sie ihre naturgegebene Kraft. Kunst jetzt in Kriegszeiten? Erst recht! Im Wissen, dass sie die Tagesaktualität nicht einfach in Luft auflösen kann. Aber mit der Überzeugung, dass sie den damit verbundenen Gefühlen etwas entgegenzusetzen hat. Freude, Hoffnung und Kraft für nachhaltige Lösungen zum Beispiel. 

Um es in den Worten von Barbara Bleisch zu sagen: Diese haben wir nur, «wenn Gespräche über Bäume möglich bleiben.» 

Und ich sage: Hoffentlich auch Bilder, Geschichten und Songs – gerade jetzt im Frühling, wo die Bäume so herrlich blühen.

 

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