Gott der Poet

Erste Stunde Grammatik. Damals am germanistischen Institut während des Lehrerstudiums. Ich mag mich noch genau erinnern. Es war das Erste, was unser Professor tat, als er sich ans Rednerpult stellte. Nicht einmal für eine ordentliche Begrüßung nahm er sich Zeit. Stattdessen las er vor. Aus Johannes 1:

1 Am Anfang war das Wort; das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.
2 Der, der das Wort ist, war am Anfang bei Gott.
3 Durch ihn ist alles entstanden; es gibt nichts, was ohne ihn entstanden ist.
4 In ihm war das Leben, und dieses Leben war das Licht der Menschen.
5 Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht auslöschen können

[…]

14 Er, der das Wort ist, wurde ein Mensch von Fleisch und Blut und lebte unter uns. Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit voller Gnade und Wahrheit, wie nur er als der einzige Sohn sie besitzt, er, der vom Vater kommt.

Der Professor – selbst nicht sonderlich am christlichen Glauben interessiert – wollte uns mit dem Text zeigen, wie sehr uns das Wort, seiner Auffassung nach natürlich die Sprache, seit Anbeginn der Zeit begleitet. Fast schon gottgegeben. Ich weiss noch, wie ich als glaubender Mensch ziemlich beeindruckt und seltsam berührt in den Reihen saß. Da küssten sich gerade zwei mir besonders wichtige Lebensbereiche, mein Glaube und meine Sprache, an einem Ort, an dem ich es nicht erwartet hätte. Selten davor und danach fühlte sich Uni so «stimmig» an.

Und noch etwas gefiel mir: Ich war von der professoralen Performance – man kann es nicht anders nennen – nachhaltig beeindruckt. Natürlich kannte ich die Stelle in- und auswendig. Aber auch wenn ich beim «Wort» bisher ganz artig an Jesus und die Bibel als Synonym dachte, so war mir die schöpferische Kraft, die effektiv in Gottes Wort (also in seiner Sprache, in seinem Sprechen) liegt, wohl noch nie so bewusst geworden, wie in diesem Moment. Der Schöpfungsbericht also eigentlich viel eher ein Schöpfungsgedicht: «Durch ihn ist alles entstanden; es gibt nichts, was ohne ihn entstanden ist.» Und wie hat es Gott, der große Poet, angestellt? Durch sein Sprechen, sein Wort. Amen, Herr Professor. Danke für die Predigt! Die Analogie zwischen Gott und uns als schöpferische Wesen begleitet mich seit diesem Erlebnis intensiver. Besonders dann, wenn es um Sprache und Kunst geht.

Natürlich ist niemand von uns Menschen Gott. Und das «Wort Gottes», Gott selbst, wurde einzig durch Jesus Christus Fleisch und Blut auf dieser Welt. Und doch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass sich durch Jesus Christus ein Stück von Gott in unseren Herzen ausbreiten kann. Es lässt sich auch nicht von der Hand weisen, dass Gottes «Fleisch und Blut» zu seiner Zeit hier auf der Kugel ziemlich anschauliche Geschichten erzählte, die so gut sind, dass wir sie uns bis heute noch weitererzählen. Und es lässt sich nicht verleugnen, dass Gott seine Apostelgeschichte bis in die heutige Zeit weiter schreibt. Mit Menschen, die sich seinem Evangelium verpflichtet fühlen.

Ich lese daraus eine große Ermutigung, im Zusammenhang mit dem Evangelium auch immer wieder selbst schöpferisch, künstlerisch tätig zu sein.

Die Apostelgeschichte also gewissermaßen ein Apostelgedicht. Gott ist der Autor. Wir sind die Worte und Verse. Unsere Leben sind Metaphern (schöne hoffentlich). Manuel A. Dürr, Maler und Freund unseres Kunstnetzwerks, drückte es kürzlich so aus: «Das Evangelium ist etwas Schönes. Es verdient deshalb auch eine schöne Form.»

Mein Punkt heute, du kreativer Mensch da draußen: Lass uns in unserer persönlichen, künstlerischen Sprache nebst all den Themen des Alltags immer wieder Formen und Worte finden, um die Schönheit des Evangeliums zu beschreiben, so dass es moderne Menschen ganz unabhängig von ihrer Gesinnung verstehen oder zumindest als beachtenswert würdigen.
Auch Sent, ein befreundeter und begnadeter Spoken Word Artist, ist mit seinem neuesten Werk «ApostelGEDICHTE» bei dieser schönen, künstlerischen Form des Evangeliums gelandet. Ich durfte für sein neues, abendfüllendes Spoken-Word-Programm den Soundtrack schreiben. Dreimal darfst du raten, welche Bibelstelle ich nach Jahren nun endlich einmal vertont habe.

 

PS: Falls du reinhören willst, hier geht’s zum Song.

 

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