«Schreib eine Sache auf, die niemand vom Team über dich weiss!», hieß eine der Challenges am ersten Abend der Planungstage von Central Arts. Die Antwortkarten wurden gemischt und nun hieß es, die News und geheimen Leidenschaften seinen Teammitgliedern zuzuordnen. Auf einer Karte stand: «Ich rieche Düfte und höre Melodien über Menschen. Außerdem sind da Farben für bestimmte Jahre und Tage und ich sehe sich verändernde Formen beim Hören von Musik.» Alle im Raum riefen einstimmig: «Das ist 100% Julia!» Ich war überrascht. Natürlich hatten sie Recht. Nur bis dato hatte ich noch nie offen darüber gesprochen.
Das Phänomen heißt Synästhesie. Es bedeutet, dass innerhalb der eigenen Wahrnehmung zwei oder mehrere Aspekte, die keinen direkten Zusammenhang haben, miteinander verknüpft werden. Man kann auch von einer Verflechtung von Sinnesmodalitäten sprechen, die Farbe, Temperatur, Musik und Räumlichkeiten einschließt.
Worte haben für mich eine Temperatur. Musik hat für mich Formen und Farbe. Verhalten von Menschen duftet.
Für Termine und Events habe ich gewisse Farben – die sind einfach da. Und das nicht, weil die modernen Onlinekalender sie so designen. Ich fühle vielmehr Farben für Wochen, Lebensabschnitte, Seasons und Jahre. Farben, Formen, Strukturen, Düfte – das alles sind Essenzen, die etwas aussagen und vermitteln können.
Ich rieche Sachen, die man sieht und solche, die man nicht sehen kann. Bin ich mit Menschen, deren Herzenshaltung kalt ist, in einem Raum, spüre ich echte «Gefrier-Gefühle». Ein Mensch mit einem schönen Herzen duftet für mich wie ein betörender Garten. Und wenn es ganz still ist, höre ich zuweilen klare Melodien über anderen. Ich fühle für jeden, der mir begegnet, eine Form, eine Farbe, eine Melodie, einen Duft.
Immer wieder bin ich erstaunt darüber, dass nicht alle genauso sehen und wahrnehmen. Das alles kann nämlich unglaublich bunt, vielseitig und absolute Fülle sein. Es kann meinen Prozessor aber auch wortwörtlich heiß laufen lassen und anstrengend werden.
Es gibt so vieles in unserer Zeit, das verzweckt eindimensional getan wird. Mich langweilen Dinge schnell, die nicht diese fünffältige Dimensionalität von Klang, Duft, Farbe, Berührung/Herzenshaltung und Geschmack haben. So wie unser Essen u.a. wegen Überzüchtung Geschmack und Duft verliert, so fühle ich mich im von To-dos geprägten Arbeitsalltag häufig «gefühls- und geschmacksunterernährt».
Ich wünsche uns eine Offenheit zur ganzen Farbpalette der Sinne. Je sprachfähiger wir in den «Nuancen» sind, desto detaillierter können wir uns mitteilen.
Es gibt auch viele Kunstschaffende, die sehr synästhetisch Kunst hervorgebracht und Geschichte geschrieben haben. Der berühmte Komponist Franz Liszt soll seine Synästhesie zur Unterstützung seiner Orchestrierung eingesetzt haben und den Musikern gesagt haben:
»Oh bitte, meine Herren, ein bisschen blauer, wenn es Ihnen gefällt! Dieser Tontyp erfordert es!»
Und der Filmkomponist Hans Zimmer sagt, er hört Farben, wenn er sich Musik ausdenkt, was für seinen Beruf recht nützlich ist. Auch Billie Eilish erzählt in einem Interview, dass sie sich bei allem, was sie schafft, fragt, welche Farbe und welche Textur es hat. Welcher Tag der Woche, welche Nummer und welche Form es verkörpert.
Synästhesie ist für mich persönlich ein sehr nützliches Tool in der Kreativbranche. Sie hilft, zu differenzieren, Nuancen zu kennen und zu benennen. Und sie ist immer wieder eine echte Wundertüte. Kommen die Sinneseindrücke wie in einer Art Flow und bewegen sich in mir ganz frei, empfinde ich das als gutes Zeichen. Das Größte und manchmal auch das Schwerste am Ganzen: Alles in seiner Vielfalt und Prächtigkeit als Geschenk wahrzunehmen und es mit allen Sinnen so richtig zu genießen.