Pop + Liebe = ?

Meine Teenagertochter machte kürzlich eine Entdeckung über sich selbst. Sie sagte mir mit leicht beunruhigtem Ton: «Wie Liebe in Echt geht, weiss ich ja gar nicht.» Ihre Selbsterkenntnis erinnert an Songlyrics von Queen aus dem Jahr 1980.

«This thing called love I just can’t handle it […] I ain’t ready. Crazy little thing called love.»

Freddie und meine Tochter sind sich scheinbar einig. Keine einfache Angelegenheit – das mit der Liebe. Der Kopf der Tochter steckt eigentlich immer zwischen zwei Fantasy-Buchdeckeln. Was Liebe angeht liegen Fiktion und Realität einer Dreizehnjährigen weit auseinander. Mit dem Geruch von Druckerschwärze in der Nase hat sie, in ihrem Zimmer sitzend, Liebe in all ihren Facetten erlebt. Im echten Leben beschränkt sich das auf peinlich berührtes Kichern, verstohlene Blicke und Pausenhofspiele, die irgendwas mit dem Werfen von Petflaschen zu tun haben.

Popkultur ist wie ein Seismograf für gesellschaftliche Entwicklungen. In ihrer wissenschaftlichen Arbeit über das Zusammenspiel von Pop und Liebe, schreiben Kristina Flieger und Christoph Jacke: «Wenn man Popkultur ernst nimmt, muss man sie als Zeitschrift lesen, die Bilder für etwas bietet, das andere bloss fühlen oder als undefinierten Zustand in ihrem Bauch wahrnehmen.» Pop spiegelt demnach das aktuelle Verständnis von dem, was als Liebe angesehen wird und wie sie verhandelt wird.

Mit diesem Mindset höre ich mich auf Spotify mal um. (Das offensichtlich endlose Unterfangen frisst Zeit, aber macht Spass.) «Liebe wird aus Mut gemacht», singt Nena. In seinem Song «Wolke Vier» singt Philipp Dittberner: «Lieber auf Wolke Vier mit dir, als unten wieder ganz allein.» Liebe als das grosse Gefühl scheint im Deutschpop zur Zeit ausgestorben zu sein. Ist mehr so eine vorsichtige, berechnende, nüchterne Angelegenheit. Oder eine schmerzhafte.

«Ich würd‘ für dich kämpfen und wenn ich mich dabei verletz‘. Hey, ich werd‘ dich lieben, wenn du mich lässt.» (Lea)

Die vorherrschende Gleichung scheint mir Pop + Liebe = bitter. Trotzdem kann Pop nicht ohne Liebe. Und wir können nicht ohne die Sehnsuchtstapete im grauen Alltag, die uns Popsongs und Netflixserien liefern.

Weiss ich – die ich aus den Teenagerjahren längst rausgewachsen bin – wie Liebe in echt funktioniert? Das, was nichts zu tun hat mit konstruierten Filmdialogen, weichgezeichneten Paarfotoshootings im Gegenlicht oder dauerhaftem Bauchkribbeln? Sondern das, was im Übertragenen mit Langstreckenlauf und im Konkreten mit Mundgeruch und herumliegenden Socken zu tun hat. Wie geht Liebe, wenn man müde und gestresst ist? Wie geht sie, wenn ich in mir wenig zum Verschenken finde? Braucht sie wirklich Mut? Muss ich meinen Anspruch an sie reduzieren, um das Ausmass der Verletzung möglichst gering zu halten?

Zugegeben: Ich hangle mich von Erfahrung zu Erfahrung und komme manchmal im Staub des Alltags nicht so recht voran. Aber der Kurs steht fest. Ich krieche Richtung Quelle. Mit meinen Liebesversuchen stolpere ich zu dem Gott hin, der von sich sagt, er sei Liebe. Dabei darf der richtige Soundtrack nicht fehlen. Um mit Shakespeare abzuschliessen: «If music be the food of love, play on.»

 

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