Charly in der Ukraine

Interview

Erzähl mal Charly, was genau hattest du in der Ukraine verloren?
Ich war mit ARTHELPS in Kooperation mit Central Arts in der Ukraine. Sechs Personen aus Deutschland reisten nach Kiew und machten dort einen Musikworkshop mit 15 Jugendlichen. Aus Kriegsschrott bauten wir Instrumente. Ein Schlagzeug aus verschiedenen Eimern und Bombenresten. Ein Didgeridoo aus einem Panzerrohr. Perkussioninstrumente aus Patronenhülsen. Ein Cello aus den Überresten einer Rakete der Ostfront. Die Aktion nennt sich auch «Breaking The Silence». Aus den Dingen, die Tod brachten, wieder Leben und Hoffnung bringen – das war schon paradox. Wir wollten mit den Kindern kreativ werden und sie so erfahren lassen, dass sie etwas tun und damit Veränderung bewirken können. Sie bemalten und verzierten die Instrumente. So entstand Schönes aus Schrecklichem.

 

Wie muss ich mir Kiew im Herbst 23 vorstellen?
Als wir angekommen waren und ich die ersten zerstörten Gebäude sah, wurde ich sehr demütig. All diese Zerstörung zu sehen, macht etwas mit einem. Einschusslöcher an Leitplanken, Gebäuderuinen – hier war Krieg. Die Innenstadt Kiews wirkt, abgesehen von den vielen Checkpoints und Sicherheitskontrollen, erstmal ganz normal. Diese Normalität verschwand bereits in unserer ersten Nacht. 00:30 Uhr – Bombenalarm. Als ganze Crew aus dem Hotel raus und zur nächstgelegenen Metrostation. Da realisierte ich zum ersten Mal: Ganz so normal ist das nicht. Aber für die Menschen dort ist es bereits normal. Diese Tatsache erschreckte mich. Dann sitzt du mit 50–100 Menschen dort unten und wartest einfach ab. Auf unsere Frage, wie lang das nun dauert, meinten die Leute nur: «Vielleicht eine Stunde. Vielleicht aber auch sechs.»

 

Gibt es Erlebnisse, die bei dir besonders tief gingen?
Als wir in einem Einkaufszentrum und in einer Bank Besorgungen machten, hatte ich das Gefühl, dass wir von allen angestarrt wurden. Ich war leicht verunsichert. Wenig später kam der Filialleiter auf uns zu und fragte, was wir hier machten. Wir erzählten ihm vom Projekt. Seine Reaktion war mehr als überraschend. Der Mann bedankte sich so herzlich bei uns, dass ich nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte. Es kämen wenige Europäer, meinte er. Es sei einfach nur schön, dass wir hier seien. Es zeige, dass uns die Ukraine nicht egal sei. Dass wir die Menschen dort nicht vergessen haben. Diese große Dankbarkeit für unsere kleine Aktion bewegte mich.

Am letzten Tag haben wir außerhalb von Kiew mit den selbstgebauten Instrumenten ein Video gedreht. Auf dem Weg zur Location fuhren wir an Butscha vorbei. Als ich das Ortsschild sah, hatte ich sofort die Bilder vom Massaker im Kopf. Ich war schockiert und nachdenklich. Alles war plötzlich so nah. 1.5 Tage Autofahrt und ich befinde mich in einem Kriegsgebiet! Gedreht haben wir in einem von einer Druckwelle zerstörten Einfamilienhaus. Das Haus gehört einer Familie, die jetzt in einem Container nebenan wohnt. Drei Betten, eine kleine Küchenzeile, keine verschließbare Tür zum Bad. Die Familie hat fast nichts mehr. Während des Drehs versorgte uns die Mutter und beschenkte uns mit Gastfreundschaft. Davon kann ich nur lernen.

 

Was bleibt?
Eine Frau sagte uns: «Zeigt der Welt, was uns angetan wurde!» Unsere Aktion ist ein Beitrag für ihr Anliegen.

Ich wollte mit meiner Gabe, mit meiner Musik nicht einfach nur meine Karriere vorantreiben, sondern etwas Sinnvolles machen. Ich wollte dienen und etwas Gutes tun. Es war schön zu sehen, wie das Bauen der Musikinstrumente Hoffnung gebracht hat. Kunst hat die Macht, Herzen zu verändern. Ich will Projekte machen, die die Herzen von Menschen positiv verändern. Und das ganz praktisch und ganz einfach.