Macht Kunst glücklich?

«Was für ein Mensch willst du gewesen sein?», fragt Matze Hielscher seine Gäste fast immer gegen Ende des Gesprächs im Podcast. Meine empirische Forschung als regelmässige Hörerin von «Hotel Matze» zeigt, dass die mit Abstand häufigste Antwort auf seine Frage «Ein glücklicher.» ist. Das Glück scheint den Leuten heute wirklich wichtig zu sein. Ein Versuch, die Sache mit dem Glück und die Sache mit der Kunst in einen Zusammenhang zu bringen.

Ich bin mit meinen Kindern beim Zahnarzt. Die Lamellenvorhänge, die Clocks des Arztes, die Liege aus Kunstleder, der Linoleumboden und hoffentlich auch unsere Zähne – alles strahlend weiss. Das Einzige im Raum, das sich wehrt, weiss zu sein, ist ein abstraktes Gemälde in Blau, Gelb und Schwarz. Warum in Zahnarztpraxen eigentlich immer echte Kunst hänge, fragt meine Tochter. Weil Zahnärzte genug verdienen, um sich das leisten zu können, sage ich natürlich nicht. Stattdessen vermute ich murmelnd, der Grund dafür liege in der beruhigenden, ablenkenden oder anregenden Wirkung von Kunst. Eine willkommene Medikation für alle, die mit Angst vor der Behandlung auf der Pritsche liegen oder gelangweilt im Wartezimmer sitzen. Der Arzt sagt nichts zur Frage meines Kindes und werkelt konzentriert weiter. Ich vermute bei ihm eine dritte Option: Das mit den Bildern ist so gar nicht sein Ding. Seine Ehefrau ist zuständig für die Einrichtung und verleiht der Praxis durch die Kunstliebhaberei einen akademischen Touch.

Zu Hause lese ich, dass in Kanada Museumsbesuche verschrieben werden. Kunst auf Rezept – wie schön! Bei einem Museumsbesuch sinkt das Stresshormon Cortisol und das Glückshormon Serotonin steigt. Nicht immer, und in Wirklichkeit ist alles einen Ticken komplizierter, aber in der Tendenz ist es so. Nathalie Bondil, die das Universal-Museum in Montreal leitet und die Initiative mitgegründet hat, sagte in einem Interview:

«Unsere Mission ist es nicht bloss Ausstellungen zu organisieren, sondern auch, das Leben der Menschen zu verbessern.»

Auch der Deutsche Künstler Rupprecht Geiger wusste ganz genau um den positiven Effekt von Kunst. Sein Leben lang malte er in kräftigen Pink-, Orange- und Rottönen. «Rot ist die Farbe. Rot ist schön. Rot ist Leben, Energie, Potenz, Macht, Liebe, Wärme, Kraft. Rot macht high.» Die Münchner Regio-TV-Reporterin, der ich bei ihrer kurzen Reportage über den verstorbenen Künstler zuschaue, bestätigt dessen These mit ihrem Gesicht. Als sie das ehemalige Atelier des Künstlers betritt, beginnt sie über beide Ohren zu strahlen und hört nicht mehr damit auf. (Jetzt verstehe ich Geigers Drogen-Metapher. Oder hat er es womöglich wörtlich gemeint?) Überall stehen Kübel voller Magenta-Pigmente. Der Boden, die Wände und das Mobiliar sind übersät von Farbspuren und Klecksen. Ein pinkes Universum. Das maximale Kontrastprogramm zu meinem Zahnarztbesuch von gestern.

Die Psychologie hat eine Erklärung für das Dauergrinsen der TV-Reporterin. Es handelt sich hierbei um «ästhetische Gefühle». Gefühlsregungen, die aufkommen, wenn wir bestimmte Farben, Formen und Verhältnisse sehen. Dazu zählt, berührt, begeistert oder erschüttert zu sein. So weit so gut. Aber macht auch das künstlerische Schaffen an sich die Künstlerin oder den Künstler glücklich oder ist es dem Mythos entsprechend vielmehr Ausdruck des Seelenleids? Kunst zu machen ist ein Mittel, eine Spur zu hinterlassen. Daraus, etwas Bleibendes zu schaffen, schöpfen viele Sinn. Die Idee der «Museums-Behandlung» stützt sich übrigens auf wissenschaftliche Erkenntnisse zum Nutzen von Kunsttherapie. Ob man Kunst genießt oder selber kreativ wird, laut Studien helfe beides. Die Schweizer Neurowissenschaftlerin Barbara Studer wurde zum Jahresstart gefragt, wie wir im 2024 glücklicher werden können.

«Indem wir mehr von dem tun, was uns wirklich wichtig ist – mehr kreieren und weniger konsumieren.»

Falls sie recht hat, stehen die Chancen für Kunstschaffende auf Glück gut. Der Philosoph Spinosa nimmt dem Ganzen den Druck. Wie er sagte, werden wir dann glücklich, wenn wir auf Menschen zugehen, die uns in Freude versetzen, wenn wir Erfahrungen machen, Begegnungen und Aktivitäten erleben, die uns entsprechen. Das sei das Glück. Man muss es nicht als solches suchen. Danke Spinosa, das tönt doch nach einem realistischen Ziel für mein 2024.

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