Irgendwo zwischen Theologie und Poesie

«Wir denken laut nach. Über Gott, das Leben und populäre Kunst.» So die selbstgewählte Anforderung für den Central Arts Blog, die ich immer wieder gerne zu erfüllen versuche. Und die mich aber auch wieder vor eine Herausforderung stellt, die der Theologe Karl Barth folgendermaßen zusammenfasst:

«Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben.»

Als Theologin bin ich in diese Spannung gestellt. Es ist mein Job, über, von und mit Gott zu sprechen. Mit und über ihn nachzudenken – vom Griechischen θεολογία, vom altgriechisch θεός‚ Gott und λόγος‚ Wort, Rede, Lehre – die Rede von Gott. Das wird von mir erwartet. Und ich tue es gerne. Bemühe mich in Gesprächen und Vorträgen um die richtigen Worte. Jongliere in meinen persönlichen Reflektionen mit der passenden Ausdrucksweise. Taste nach Formulierungen, versuche, meine Ohren und mein Herz auf Gott zu richten. Durchforste Texte aus den letzten 2000 Jahren Kirchengeschichte nach Worten, die in mir etwas zum Klingen bringen. Forsche und systematisiere meine Erkenntnisse beim wissenschaftlichen Arbeiten. Manchmal gelingt es mir und doch komme ich dabei immer wieder an meine Grenzen. Und das hat zwei, wenn nicht sogar noch mehr Gründe. Aber diese zwei bewegen mich immer wieder.

Eine Begrenzung liegt darin, dass ich Mensch bin und Gott Gott ist. Ich bin begrenzt und versuche über den Grenzenlosen zu sprechen. Ich bin in diese Zeit und an diesen Ort gestellt und stehe dabei dem Ewigen und Allgegenwärtigen gegenüber.
Und doch: Ich versuche einem Geheimnis auf die Spur zu kommen, von dem der Evangelist Johannes im Prolog als «fleischgewordenes Wort Gottes» spricht. Was mir durchaus rätselhaft erscheint, versuche ich so zu fassen: Gott, der sich in einem Kind offenbart und so für mich greifbar, für mich zu einer konkreten Person wird. Jesus.

Und so stehe ich in der Spannung zwischen Offenbarung und Geheimnis.

Zwischen dem, was ich anhand von Gottes Geschichte mit den Menschen der Bibel und Berichten über das Leben und Sterben von Jesus über ihn sagen kann, und dem, was ich nicht verstehe und wo er mir verborgen bleibt. Und wo ich ihn vielleicht auch gar nicht verstehen muss. Sondern auch fühlen, erahnen, genießen darf. 

Und das bringt mich zu einer zweiten Begrenzung, die das Nachdenken über Gott mit sich bringt: Es ist das Format selbst, das Denken als Weg zur Erkenntnis. Der Protestantismus hat aufgrund seiner historischen Umgebung, der Aufklärung, in der er sich entwickelt hat, eine Tendenz zur Betonung des Verstandes als zentrales Merkmal des Menschen. Um mit Descartes zu sprechen: «Ich denke, also bin ich.» Was zur damaligen Zeit durchaus eine Errungenschaft war, stellt auch eine einseitige und verkürzte Betrachtungsweise des Menschen dar. Denn der Mensch ist nicht nur, was er denkt, er ist nach frühchristlichem Verständnis Körper, Seele und Geist. Er tut, er empfindet, er denkt. Gerade das wichtigste Gebot, das Doppelgebot der Liebe, offenbart dieses Menschenverständnis, bei dem all das auf komplexe und umfangreiche Art und Weise miteinander verwoben ist und sogar noch die zwischenmenschliche Beziehungskomponente miteinschließt : «Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit aller deiner Kraft und mit deinem ganzen Denken» (5. Mose 6,5) und «deinen Nächsten wie dich selbst» (3. Mose 19,18).»

Dieses Menschenverständnis weitet und beflügelt mich und ich entdecke dadurch neue Wege, Gott zu begreifen. Ein Weg ist die Kunst. Die Musik. Die Poesie. Weil sie mir hilft, zu formulieren und auszudrücken, was meine systematisch-theologischen Gedankenwege nicht können. Weil sie nicht mein Denken ansprechen, sondern mein Empfinden. Oder wie Goethe es formuliert: «Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen.»
In einem achtsam gestalteten Kunstwerk, in einer kunstvoll komponierten Melodie und in einem gut durchdachten und ansprechenden Design begreife ich Gottes unsagbare Schönheit und Herrlichkeit mehr, als es mir eine wissenschaftliche Abhandlung jemals vermitteln könnte.

Die systematische Theologin und Poetin Xiaoli Yang drückt es sehr charmant in einem ihrer Gedichte so aus: 

Theology
systemizes our thoughts
of the eternal mass
into categories
creates words of
paradox and abstraction
and labels them
in the safe box of our doctrines
we think
the epistemology of God
and God winks.

Gott zwinkert. Der Grenzenlose lässt sich nicht begrenzen, und begrenzt sich doch selbst in einem Kind. Er offenbart sich auf so viele unterschiedliche Arten, die teilweise in ergänzender Spannung zueinander stehen. Und so will ich nicht aufhören über, mit und von Jesus zu sprechen, über ihn nachzudenken und Theologie zu treiben – und dort, wo mir die Worte fehlen, die Kunst für mich sprechen lassen und statt zum theologischen Fachbuch doch mal wieder zum Gedichtband greifen. 

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