Oh, wow!

Wenn machen wie wollen ist, nur krasser – dann ist staunen wie wissen. Nur schöner!¹

Mic Drop.

Das war eigentlich schon alles, was ich sagen wollte. 

Doch nochmals schön von vorne: Weshalb lohnt es sich eigentlich, sich einmal eingängig mit dem Staunen auseinanderzusetzen? Als Kunstvermittler und Künstler darf ich nun seit vielen Jahren quasi von Berufs wegen staunen und schätze die Vorzüge eines staunenden Lebenswandels praktisch täglich. 

Hier deshalb ein kleiner Abriss für dich:

So ganz genau eingrenzen lässt sich das Staunen übrigens nicht, wie Literaturwissenschaftlerin Prof. Mireille Schnyder² weiss:

«Zweifel, Schrecken und Neugier gehören genauso dazu wie Verwunderung und Überraschung.»

Gemeinsam mit anderen Forschenden der Universitäten Zürich, Basel und Freiburg ergründet sie in einem interdisziplinären Projekt die «Poetik und Ästhetik des Staunens»³. Das Staunen kann uns etwa überwältigen und erstarren lassen (Stichwort Sonnenaufgang) oder in uns die Neugier wecken (Stichwort Mikroskop), das hängt ganz vom Kontext ab.

Ganz vereinfacht lässt sich sagen, dass das Staunen für Menschen immer schon ein Antrieb war, um Neues zu lernen. Bereits Aristoteles sah das Staunen nicht nur als Grundvoraussetzung für das Erwerben neuer Erkenntnisse an, sondern gar als Ausgangspunkt für jegliche Art von Philosophieren. 

Intellektuelle Hochkonjunktur hatte das Staunen während der Renaissance. So wurden in dieser Zeit etwa die Dichter dazu angestachelt, neue und möglichst überzeugende Metaphern für komplexe Zusammenhänge zu finden, um sich die Begeisterung und die staunenden Mäuler des Publikums zu sichern.

Am interessantesten wird es in der Geschichte des Staunens dort, wo es um das vermeintlich richtige und falsche Staunen geht. So war das «religiöse» Staunen über Gott lange erwünscht und gar nicht zu hinterfragen, wohingegen vor dem verpönten «wissenschaftlichen» Staunen gewarnt wurde, weil es die Neugier des Menschen zu stark anstacheln und von Gott wegführen würde.

Es ist Vertretern wie beispielsweise dem deutschen Gelehrten und Bischof Albertus Magnus im 13. JH zu verdanken, dass der wissenschaftlichen Neugier der negative Touch genommen wurde, führe sie doch zu «noch größerer Bewunderung für die Schöpfung – und den Schöpfer»⁴.

Und auch wenn im Zuge der Aufklärung gerade das religiöse Staunen gegenüber dem wissenschaftlichen Staunen zunehmend an Bedeutung verlor, so blieb das Staunen bis in die heutige Zeit zumindest als höchst sinnliche (und eben doch auch spirituelle) Eigenschaft wichtig: 

«Wer staunt, hält inne, ist wach, gelassen, konzentriert, versammelt sich ganz in der Gegenwart, ist ganz bei sich selbst. Er ist erschüttert, bewegungslos und widersetzt sich damit allem Selbstverständlichen. Staunen heißt, die Wirklichkeit als Wunder zu erkennen, denn Wunder gründen nicht woanders, sondern immer in unserer Lebenswirklichkeit.»⁵

Diese Aussage stammt von  Paolo Bianchi, Dozent an der Zürcher Hochschule für Künste. Wer staunt, entdeckt also nicht einfach nur etwas Neues, sondern nimmt das Neue darüber hinaus als etwas Wundersames wahr.

Eine interessante Parallele zum religiösen und wissenschaftlichen Staunen entdeckten die Forschungsgruppe um Prof. Schnyder übrigens in der Kunst: Auch dort werde von der Überwältigung als Ziel des Kunstwerks gesprochen. Und das führe dazu, mehr über den Schöpfer des bestaunten Werks wissen zu wollen.

Staunen lässt uns innehalten, lässt uns nochmals anders auf die Dinge blicken, interessiert sich für die schöpferische Energie und Quelle dahinter, ist letztlich sinnlich, oft gar religiös, weil es mehr in uns weckt als reine, wissenschaftliche Neugier.

Und auf der anderen Seite machen wir uns für andere interessant, wenn wir selber staunen können.

Dass kritische, reflektierende Neugierde ganz gut einhergeht mit sinnlich-religiösem Staunen beweist die Familie Mendelssohn vielleicht am Eindrücklichsten. Während der Philosoph Moses Mendelssohn zu den Frühaufklärern Deutschlands gehörte und als Begründer der jüdischen Aufklärung gilt, so hat sein Enkel Felix Mendelssohn mit seiner (Wieder)entdeckung von Bach für so viel Staunen über Musik und Gott gesorgt, wie vielleicht kein anderer in der Musikgeschichte. 

Ich nehme das als große Ermutigung für mich, mutig und neugierig die Welt zu entdecken und dennoch immer wieder fürs Staunen alles stehen und liegen zu lassen, um meinen Kopf gen Himmel zu halten. 

Eben: Weil staunen wie wissen ist. Nur schöner!

 

PS: Aktuell staunen wir mit Central Arts übrigens gemeinsam mit dem Autoren Andreas Boppart, mit dem wir die Kollaboration «Kreuzweise» veröffentlicht haben. Staunen statt streiten lautet die Devise. Wir wünschen uns, dass sich Menschen nicht mehr «kreuzweise» können, sondern auch an einem – zugegeben sperrigen – Thema wie dem Kreuz «weise» werden.

 

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¹  Sponti-Spruch, der in den letzten Jahren vermutlich in jedem Start-up-Kanal mal verwendet und bestimmt auf Hunderttausende von Tassen und T-Shirts gedruckt wurde.
²  «Wenn die Welt stillsteht», Uni Zürich
³  staunenprojekt.com
⁴  «Wenn die Welt stillsteht», Uni Zürich
⁵  «Staunen», Paolo Bianchi