Kunsttauchen

Eine gewisse Firma mit dem Apfel entwickelte eine neue VR-Brille. Optisch kommt diese verdächtig nahe an eine Skibrille ran. Auch wenn explizit davor gewarnt wurde, dass diese Brille nur in «safe areas» verwendet werden soll, war das, was nach Produktstart folgte, mehr als absehbar: Zahlreiche Videos von Personen, die sich mit der Brille auf die Skipiste begaben.

Ich habe viel Liebe für die Spezies «Mensch». Obwohl sie dazu neigt, den roten Knopf über dem «Nicht drücken!»-Schild ständig zu betätigen. Oder um es biblisch auszudrücken: den verbotenen Apfel unbedingt essen möchte.

Wir haben es nicht so mit Einschränkungen. Kein Wunder, tauschen oder ergänzen viele Kunstmuseen ihre abgesperrten Werke gegen offene, haptische und erlebbare Kunst. Sogenannte immersive Kunst.

Immersion – das Eintauchen in eine neue Welt. Sinnliches Erlebnis für die einen, belanglose Unterhaltungskunst für die anderen. Ich versuche mit meinem Harmoniebedürfnis zwischen diesen beiden Positionen zu vermitteln. 

Fairerweise muss ich zugeben, dass ich nicht ganz unbefangen bin. Ich mag den Erlebnis-Museumsbesuch sehr. Ich ging bereits barfuß durch eine Ausstellung oder badete in einem Raum voller Fünfrappenstücke. Außerdem bin ich großer Fan des isländischen Künstlers Ólafur Elíasson. Er schafft es wie kaum jemand anderes, Kunstwerke zu kreieren, die zum Eintauchen einladen. Ich war fasziniert von seinen Lichtinstallationen im Kunsthaus Zürich oder lief beeindruckt über den Steg des giftgrünen Biotops in der Fondation Beyeler. Eigens dafür wurden die großen Fensterfronten der Ausstellungsräume entfernt.

Ich habe aber auch viel Liebe für die Spezies «Kunsthistoriker:in». Kürzlich bin ich in einem Beitrag von SRF Kultur auf ein besonders sympathisches Exemplar gestoßen. Er heißt Christian Saehrendt und wurde von der Redaktion überredet, eine immersive Ausstellung zu besuchen und diese vor der Kamera zu bewerten.
So stand er nun mitten in einer Lichtinstallation mit Werken des großen Pablo Picassos. Dazu die fast schon gemeine Stimme aus dem Off: 

«Auch der kritische Experte ist nicht ganz immun gegen die Freuden des Entertainments. Es sei schön, Kunst im Liegen zu genießen, so Christian Saehrendt.»

Trotzdem blieb er auch nach dem Besuch seinem Standpunkt treu. Für ihn sei nur die kontemplative Betrachtung von Kunstwerken die wahre Essenz der Kunst. Alles andere sei Verwirrung und Ablenkung der Sinne.

(Randbemerkung: In meiner kontemplativen Betrachtung dieses Fernsehbeitrags ist mir aufgefallen, dass der Herr Kunstexperte in solch einer Ausstellung, welche «very instagrammable» ist, im Querformat filmt.)

Wir bei Central Arts haben viel Liebe für die populären Künste und für die, die immer wieder Neues kreieren. Gleichzeitig wollen wir aber auch nicht vergessen, welche Schätze die Kunst in der Vergangenheit hervorgebracht hat und mögen die kontemplative Betrachtung von Kunst.

Uns interessiert das Zusammenspiel von Kunst und Glaube, welches wir weiterhin suchen und fördern wollen. Das Spirituelle ist ja im Kern etwas Immersives, etwas zum Eintauchen. Und wenn das durch Kunst passiert? Wie schön!

Oft hören wir Rückmeldungen wie «Eigentlich hab ich’s nicht so mit der Kunst» oder «Eigentlich hab ich’s nicht so mit dem Glauben». Bei uns begegnet man unweigerlich beidem. Der Kunst und dem Glauben. Nicht wenige sind schließlich überrascht, dass sie trotzdem etwas damit anfangen können. Bei dieser Art des Brückenbauens haben wir keine Angst vor massentauglicher Unterhaltungskunst. Sorry, lieber Herr Kunsthistoriker: Von unserer Seite viel Liebe für immersive Kunst!
 

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