Hi! Ich heiße Daniel. Keine Seltenheit als Schweizer Kind der 90er. Möchte mich aber nicht beklagen. Passt für mich so. Schließlich brauchte ich so oder so rechtlich einen Namen. Laut Zivilstandsrecht in der Schweiz muss dieser spätestens drei Tage nach der Geburt eingetragen werden. Deutschland gewährt mit maximal einem Monat allen unentschlossenen Eltern noch etwas mehr Gnadenfrist. Aber dann braucht das Kind zwingend einen Namen.
Gäbe es in der Kunstwelt eine Namenshitparade, wäre «Ohne Titel» bzw. «Untitled» wohl Spitzenreiter. Viele Werke tragen tatsächlich keinen Titel.
Eines der teuersten amerikanischen Bilder aller Zeiten zum Beispiel heißt «Untitled». Gemalt hat es Jean-Michel Basquiat und in seinem Portfolio finden sich noch über 60 weitere gleichnamige Werke. Wie originell! Und aus kommerzieller Sicht: Wie unpraktisch!
Lustigerweise ist das Titel-Problem auch erst ein Problem der Moderne. Davor war der Titel nichts weiter als eine Beschreibung des Inhalts wie «Weiher im Walde», oder «Die Hochzeit von Heinrich und Lisbet». Da war der Name Programm. Spätestens als es aber kunsthistorisch abstrakter wurde, häuften sich die unbenannten oder lediglich nummerierten Werke. Liebe Grüße an Mark Rothko oder Pablo Picasso.
Tatsächlich erhielten viele berühmte Werke ihre Bezeichnung nicht von den Kunstschaffenden selbst, sondern von den Menschen, die sie verkaufen oder ausstellen wollten. Aus der Sicht des Künstlers oder der Künstlerin solle die Kunst für sich sprechen und vom Publikum unvoreingenommen betrachtet werden können. Jede Art von Titel gebe da zu viel vor und störe die Fantasie. Es limitiere die Interpretationsmöglichkeiten. Diese, nennen wir es frech «Ausrede», merk ich mir als Vater für das Telefonat mit dem Zivilstandsamt: «Nein, ich möchte meinem Kind keinen Namen geben, sonst nehme ich schon zu viel von seinem Leben vorweg. Da soll sich jede Person selbst ein Bild machen können, ob das jetzt für sie oder ihn ein ‹Kevin› oder eine ‹Nina› ist.»
Einen Funken Verständnis habe ich für die Haltung der Kunstschaffenden, sich gerade bei abstrakten Werken nicht auf etwas Plakatives wie einen Titel festlegen zu wollen. Aber gerade bei hoch gehandelter und teurer Kunst denke ich immer so:
«Come on! Einen Namen hättest du dir für diesen Preis auch ausdenken können.»
Vielleicht spricht da aber auch nur der Frust, da ich mich (sowohl privat als auch beruflich) schon in so vielen Brainstormings zur Namensfindung befunden habe und ich so gerne mal einfach gesagt hätte: «Ach komm, wir lassen es und geben dem Ding keinen Namen!»
Klar, der Ball liegt auch bei uns, dem Publikum. Wir sollten den Titel nicht über alles setzen und ihn als Erklärung für alles nehmen. Kunst darf und muss Raum zur Interpretation bieten. Wir sind quasi in der Pflicht, selbstständig weiter zu denken und zu fühlen, was das Bild, die Installation oder der Song uns sagen möchte. Falls uns der Künstler oder die Künstlerin später noch mehr dazu sagen möchten, dürfen sie das gerne. Das ist dann aber fakultativ und steht definitiv nicht im Gesetzbuch der Kunst.
Übrigens, ein Enkel von Pablo Picasso hat mal gesagt: «Picasso almost never gave his works a title; his friends, agents and curators did it for him.» Falls du also mal einen Freund für die Namensgebung brauchst: Ich, Daniel, bin da für dich.