Diesen Sommer lernte ich in Kuba Ebenezer kennen. «Eigentlich bin ich Musiker. Jetzt bin ich Pastor», erzählte er mir, während wir über die Straßen von Havanna holperten. Ich fragte nach den Gründen, obwohl ich mir die Antwort bereits denken konnte. An Christus glauben und weiterhin als professioneller Musiker mit seiner Combo herumziehen, ging nicht. In seinen frühen Zwanzigern Christ zu werden, bedeutete für ihn, das aufzugeben, was er liebt, kann und ist.
Kubanische Musik wird weltweit gefeiert. In den Kirchen dieses Landes hat sie nichts verloren. Das Rezept dort: Man nehme die amerikanischen und australischen Worshiplieder, versehe sie in der Dominikanischen Republik mit spanischen Lyrics, gebe einen Videoclip mit viel Weichzeichner hinzu und vertreibe alles in ganz Südamerika.
Eigentlich würde ich mich jetzt so richtig aufregen über diese Maschinerie. Ausgelassen wütend sein auf Menschen und Institutionen, die alles in zwei große Töpfe aufteilen. Der eine mit dem Etikett «heilig», der andere mit dem Label «weltlich» drauf.
Ich saß in Havanna aber einem Menschen und seiner Geschichte gegenüber. An einem mir fremden Ort in einer Kultur, die nicht meine ist. Das machte, dass ich meine Wut, in die sich regelmäßig zu schnell Überheblichkeit mischt, übersprang und es mir auf direktem Weg das Herz quetschte. Dieser junge Musiker tat mir nicht einfach nur leid. Ich spürte die Ungerechtigkeit, den Schmerz und die Trauer, die in seinen Umständen steckt. Was er ist, darf er nicht sein.
Er fragte mich, ob ich im abendlichen Gottesdienst ein Lied mit ihm sänge. Kirche geht. Klub geht nicht. Worship im Vierviertel geht. Kubanische Rhythmen gehen nicht. Sogar beim Tanzen existiert eine scharfe Trennlinie. «Danzar» geht. «Bailar» geht nicht. Wenn ich sein Briefing trotz Sprachschwierigkeiten richtig verstanden habe, ist so israelisch kreistanzähnlich hopsen erlaubt, Moves aus der Hüfte heraus, sind es nicht.
Abends während des ersten Verses kurz der Gedanke, ob ich mich dieser Kultur wirklich anpassen muss oder ob ich mich im Chorus einfach mal so richtig ignorant über alles hinwegsetzen und mit meinem eingerosteten, europäischen Hüftschwung alle eines Besseren belehren sollte. Mir fehlte der Mut dafür.
In Gedanken gründete ich aber bereits eine Aktivistengruppe, die überall «Auch das ist Worship»-Sticker aufklebt. Für authentische Vibes am besten nachts mit schwarzen Strümpfen über den Köpfen. Ein Abziehbild auf den Chagall im Museum, auf den Pop im Radio, den Sauvignon Blanc an einem Sommerabend, auf die Wildblumen neben der Autobahn, auf den Sex, die tolle Bluse aus dem Secondhandshop, auf die zwanzig Minuten sitzen und schweigen, auf den Wald, die Joggingrunde darin und sogar auf das mühsame Ehrenamt.
Ich treibe den Gedanken weiter in Richtung Performing Arts. Einfach mal so eine richtige Tempelszene machen. Auf den Kirchenbänken Salsa tanzen, die verstaubte Deko, ein paar Lieder mit lebensfeindlichen Texten und mit ihnen die ungesunde Theologie wegfegen.
Matt Redman wusste bereits in den 90ern, dass Anbetung ein Lebensstil ist. Sein Buch mit dem gleichnamigen Titel habe ich vor über zwanzig Jahren als Teenager verschlungen. Ich meinte es damals anders, als ich es heute meine. Trotzdem kann ich dem Titel heute noch etwas abgewinnen.
Mein ganzes Leben soll aufschauen zum Himmel. Es soll nicht nur dann klingen, wenn ich singe oder ein Instrument spiele. Ich will nicht nur dann Wohlgeruch verbreiten, wenn ich etwas Leckeres koche.
Ob ich auf das, was ich tue, erarbeite, konsumiere, geniesse oder bestaune ein «Auch das ist Worship» kleben kann, spüre ich ziemlich genau in mir drin. So viel weiss ich mit Sicherheit: Die Trennlinie bei dieser Entscheidung liegt weniger beim Was, sondern vielmehr beim Wie.
Ach, wie gerne würde ich meinen neuen kubanischen Bekannten, Ebenezer, auf einer Bühne sehen, wie er mit Energie im ganzen Körper, Glauben im Herzen und purer Ausgelassenheit im Gesicht Kubanische Musik macht.