Hier entlang bitte!

Ich wollte schon immer viel. In meinem Kopf tummeln sich hundert Ideen und noch mehr Fragen; mir fällt es leicht, in allem eine Chance zu sehen. In meiner Wohnung warten bestimmt ein Dutzend Kunst- und Schreibprojekte auf ihre Vollendung, meine Zukunft male ich mir in den unterschiedlichsten Farben aus. Ich mag meine Neugier und meinen Wissensdurst, genieße meine Begeisterungsfähigkeit und meinen Optimismus. Manchmal wird er mir aber auch zum Verhängnis, und zwar dann, wenn es darum geht, etwas fokussiert anzugehen.

Meine Zeit und meine Ressourcen sind begrenzt, und ich lerne, dass ich mir selbst damit einen Gefallen tue, diese zu respektieren und gut zu überlegen, was ich priorisieren, angehen und auch fertigstellen möchte.

Das ist gar nicht so einfach, wenn alles interessant ist. Das ist gar nicht so einfach, wenn mir verschiedene Menschen zu Unterschiedlichem raten oder Erwartungen haben. Das ist gar nicht so einfach, wenn verschiedene Türen offen stehen.
Ich beobachte, dass ich nicht die einzige bin, der es in unsere Multi-Options-Gesellschaft so geht. Und ich vermute, dass es auch eine Frage ist, die sich viele andere Menschen aus dem Central Arts Netzwerk immer wieder stellen: Wie findet man als Mensch und als Kunstschaffender seinen Weg?

Nicht unbedingt eine Business-Antwort à la «7 Steps to Success», dafür aber einige interessante theologisch-philosophische Überlegungen habe ich ausgegraben, als mir vor kurzem ein kleines Büchlein in die Hände fiel. Es trägt den Titel «Der Weg des Menschen». Für meine Ohren klang das natürlich sehr verheißungsvoll. Dazu noch der Autor: Martin Buber. Der jüdische Philosoph gilt als einer der bedeutendsten jüdischen Denker des 20. Jahrhunderts und prägte den Satz «Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Wenn wir aufhören, uns zu begegnen, ist es, als hörten wir auf zu atmen.» Ich hatte schon viel über ihn und sein Werk gehört, aber noch nie selbst etwas von ihm gelesen. Also las ich das kleine Büchlein direkt. Achtzig Seiten in Großdruck später bin ich um ein paar Weisheiten reicher, von denen ich eine hier entfalten möchte.

Buber stellt die Selbstbesinnung an den Anfang seiner Überlegungen und bedient sich dabei der Geschichte der Genesis:

«Das “Wo bist du?” Gottes an Adam gilt jedem Menschen. (…) Adam versteckt sich, um nicht Rechenschaft ablegen zu müssen, um der Verantwortung für sein Leben zu entgehen. So versteckt sich jeder Mensch.»

Weiter merkt er an, dass sich der Mensch nicht vor Gottes Blick verstecken kann, aber dass er sich durch den Versuch, sich vor Gott zu verstecken, vor sich selbst versteckt. 

In mir flackert ein Zitat auf, das Nelson Mandela zugeschrieben wird und das jahrelang an meinem Mood-/Thinkboard hing: «Unsere tiefste Angst ist nicht, dass wir ungenügend sind. Unsere tiefste Angst ist, über das Messbare hinaus kraftvoll zu sein. Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, die uns am meisten Angst macht. Wir fragen uns, wer bin ich, mich brillant, großartig, talentiert und fantastisch zu nennen? Aber wer bist Du, Dich nicht so zu nennen? Du bist ein Kind Gottes. Dich selbst klein zu halten dient nicht der Welt.» Puh, das sitzt.

Zurück zu Buber. «”Ich habe mich versteckt”, bekennt Adam und damit beginnt der Weg des Menschen. Die entschiedene Selbstbestimmung ist der Beginn des Wegs im Leben des Menschen, immer wieder der Beginn des menschlichen Wegs.»

Auf der Suche nach dem Weg frage ich mich also zuerst: Wo stehe ich? Wovor verstecke ich mich? Wo habe ich Angst vor mir selbst, vor der Verantwortung für mein Leben? Und dann sinnen ich über drei Richtung nach, die Buber vorschlägt:

«Wisse drei Dinge: wisse, woher du kommst, und wohin du gehst und vor wem du dich zu verantworten hast.»

Tatsächlich offenbaren sich im Nachdenken und im Gespräch mit anderen darüber ein roter Faden, ein Weg, eine Richtung, die mein Leben und meine Entscheidungen bisher geprägt haben. Gleichzeitig lassen sich natürlich nicht alle Antworten auf diese Fragen direkt finden. Denn es sind Fragen, die tief gehen und bei denen ich ehrlich mit mir sein möchte. Und sicherlich auch Fragen, die neue Wege eröffnen und mich freier und mutiger machen, entschlossen und fokussiert weiterzugehen und zu entdecken, wohin der Weg mich führt.

 

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