Dieser Text handelt vom Altern. Genauer von der Frage, wie wir als Kreative gut altern können. Und unsere Kunst mit uns.
Mich begleitete die Frage im Rahmen meines kürzlich verbrachten Sabbaticals in den USA und in Kanada, wo sich meine Wege mit denen von ein paar Kreativen kreuzten, die ich seit vielen Jahren bewundere. Als ich mit diesen Menschen Zeit verbringen durfte, kamen wir früher oder später immer auch darauf zu sprechen, wie sie selbst auf ihre Kunst zurückschauen. Ob sie die Dinge nochmals genau so machen würden oder ob sie etwas bedauern. Und wenn ja, wie sie heute damit umgehen.
Eines dieser Gespräche führte ich mit Brian Doerksen. Der kanadische Ausnahmesongwriter hat ein paar der weltweit bekanntesten modernen Kirchenliedern geschrieben. Ich wuchs mit seiner sonoren Stimme aus dem CD-Player auf. Viele seiner Lieder haben mich durch bewegte Zeiten hindurchgetragen und ich singe sie noch heute, gerade wenn besonders emotionale Momente etwa an Hochzeiten oder Beerdigungen gestaltet werden wollen.
Was also denkt einer der ganz Großen seines Fachs, wenn er auf sein bisheriges Werk zurückschaut? Als ich Brian diese Frage stellte, erzählte er mir die Geschichte von «Refiner’s Fire». Es ist einer seiner erfolgreichsten, vielleicht sogar sein erfolgreichster Song. Alleine auf Spotify wurde er in unterschiedlichen Versionen weit über 15 Millionen (!) mal gestreamt. Geschrieben hat er ihn in seinen Zwanzigern. Die wunderschöne Ballade zeugt von Brians glühenden Hingabe für seinen Gott, seinen Meister.
Brian liebt den Song noch heute und steht nach wie vor zum – zugegeben ziemlich krassen – Bild eines im Feuer geläuterten Glaubens. Gleichzeitig erkannte er, dass der Begriff des «Masters» über die Jahre schlecht gealtert war. Brians Anliegen war es stets gewesen, einen intimen Raum zu schaffen, in dem Menschen Gott nahe kommen konnten. Nun musste er jedoch erkennen, dass dieses eine Wort Assoziationen mit der Sklaverei hervorrufen konnte.
Anstatt nun den Song in den Giftschrank zu verbannen oder seine reinen Motive während des Songwritings durch alle Böden hindurch zu verteidigen, machte sich Brian nochmals an die Arbeit, schrieb den Song um und gewisse Passagen sogar weiter. Für sich selbst, aber auch für die vielen singenden Menschen in der Kirche, die er vor Augen hatte.
Auf seinem 2024 erschienenen Album wurde zum 35-jährigen Bestehen des Songs «Master» zu «Maker», also der Meister zum Schöpfer. Und dem «Ready to do your will» fügte Brian folgende neuen Zeilen hinzu:
To love like you love.
To serve like you serve.
To care like you care.
Was als purer Gehorsam ohne eigenen Willen interpretiert werden konnte, macht somit dem Gedanken eines Vorbildes Platz, dem man gerne und freimütig nacheifert.
Ich finde es bemerkenswert, mit welcher Entspanntheit Brian seinem eigenen Schaffen gegenübertritt, wie sensibel sein Sensorium für dessen Wirkung ist und wie kompromisslos er für seine Werte wie Inklusion oder kritisches Denken einsteht, die über viele Jahre seines Kreativseins weiter geformt wurden.
Es gibt kein Patentrezept, wie unsere Kunst und wir mit ihr gut altern können. Die Zeiten ändern sich ständig. Was einst besonders schön, zeitgemäß oder gewinnend war, kann später plötzlich plump, aus der Zeit gefallen und trennend wirken. Und vielleicht gehören einige Dinge zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich in die Tonne getreten, wenn man selber nicht mehr dahinter stehen kann.
Ich für meinen Teil will eine besondere Portion Lernbereitschaft, Lockerheit und Kreativität an den Tag legen, wenn es um den Alterungsprozess meiner Kunst geht. Was die Besten der Besten, wie ein Johann Sebastian Bach mit seinen zahlreichen Bearbeitungen der eigenen Werke oder eben auch ein Brian, erkannt haben, möchte ich ebenfalls kultivieren. Wo nötig, möchte ich überarbeiten, weiterschreiben, remastern, neu editieren.
Ganz egal, wie tief meine Falten daneben im real life geworden sind.
Das kreative Altern kann kommen, baby!
PS: Hier geht’s zur überarbeiteten Version von «Refiner’s Fire»