I’m blue da ba dee da ba di

Eine Anekdote aus der Kunstwelt
Und was sie mich über meine Spiritualität lehren könnte

Ich stehe im Trödelladen und halte einen Bildband von Yves Klein in den Händen. Kunstbücher – eigentlich ein guilty pleasure von mir. Dieser Band hier ist aber richtig witzlos. Über zwanzig Seiten komplett blau. Die lange, monochrome Phase des französischen Konzeptkünstlers mag zu seiner Zeit revolutionär und seine konsequente Fokussiertheit bewundernswert gewesen sein. In einem Sammelband ist 24x Ultramarin aber wenig anregend. Erinnert eher an einen dieser Farbfächer, mit dem ich im Baumarkt versuche, die richtige Wandfarbe zu wählen. Auf Seite 12 das Bild mit dem Titel «RE 48: Sol. 1960». Wahnsinnig sexy. Ich für meinen Teil denke jedenfalls bei «RE 48» eher an einen Regionalexpress als an ein beeindruckendes Gemälde. 

Mit 18 Jahren soll Yves Klein den Himmel signiert haben. Solider Größenwahn oder niedliche, pubertäre Initialzündung? Beides möglich. Wenig später schoss er sich jedenfalls auf das Blau des Himmels ein und wird sich sein ganzes, kurzes Leben lang dieser intensiven Farbe verschrieben haben. Was er dazu sagte, tönt abgedreht:

«Farbe badet in kosmischer Sensibilität. (…) Farbe ist materialisierte Sensibilität. Farbe badet in allem und badet alles».

Sein aufwändig entwickeltes Blau nannte er «das sichtbar werdende Unsichtbare». Ziemlich spirituell. Der Rest seiner Künstlerbiografie kommt einem erschreckend bekannt vor. Er – seiner Zeit voraus – wurde nicht so recht verstanden und sein Werk schien für die Mitte des 20. Jahrhunderts zu radikal. Sogar im progressiven Pariser Salon des Réalités Nouvelles, wo man für abstrakte Werke aufgeschlossen war, gab man Yves Klein das Feedback, er solle seine einfarbigen Bilder doch wenigstens durch eine zweite Farbe, einen Punkt oder einen Strich etwas aufpeppen. Mit Mitte dreißig starb Yves Klein. Heute verkaufen sich seine Bilder zu zweistelligen Millionenbeträgen. 

Nun aber zur eigentlichen Anekdote. 1957 stellte er elf seiner Bilder aus. Alle in seinem berüchtigten «International Klein Blue». Alle mit der Rolle aufgetragen. Alle im selben Format. Aber alle zu einem anderen Preis.

Elf Bilder, die aufs Erste identisch aussehen, zu den unterschiedlichsten Preisen in derselben Ausstellung?! Ich vermute, der Mann hatte Humor.

Seine Idee ging auf. Alle Bilder wurden verkauft. 

Wer einem seiner Monochromen gegenüberstand, blickte wie durch ein Fenster, das den Blick auf sich selbst oder gar die Unendlichkeit, freigab. Man sollte seine Bilder nicht nur anschauen, sondern in ihnen die eigene Empfindsamkeit entdecken. Der Hint mit dem Preis sagt mir: Entscheidend war nicht, was man sah, sondern was man spürte. Innere Erfahrung vs. äußere Erscheinung. Das zumindest erklärt mir, warum die Leute bereit waren, für das Gleiche nicht das Gleiche zu bezahlen. 

Kirche in der heutigen Zeit, moderne Liturgien oder Glaubensgemeinschaften sollten jenseits der Organisierbarkeit genau solche Erfahrungsräume sein. Wo wir wie gebannt vor diesem Blau stehen, Kerzen anzünden, Spaziergänge in der Natur machen, Bücher lesen, Lieder singen, diskutieren, Alltag lieben und einander helfen. Weil uns eine leise Sehnsucht zieht, Gott, das absolute Geheimnis, in dieser Welt zu erfahren. Der Wunsch, das Blau nicht nur zu betrachten, sondern hineinzufallen und darin zu baden. Ähnlich wie es der biblische Autor Lukas ausdrückte:

«Denn in ihm [Gott] leben wir, bewegen wir uns und sind wir» (Apostelgeschichte 17,28).

Aus «Erfahrung» weiss ich: Es kann passieren, dass es durchsichtig wird. Durchsichtig auf das Geheimnis hin, das alles trägt, durchwirkt und umfängt. 

 

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