Meine Freundin, die Kunst

Als ich kürzlich einer Veranstalterin «Kunst und Kirche auf Augenhöhe» als Titel für mein Seminar vorschlug, meinte diese nur: «Nun, darunter kann ich mir leider wenig Konkretes vorstellen.»

Nicht viel später klärte mich anderswo ein junger, enthusiastischer Musiker darüber auf, dass Kunst an sich einfach nur eine leere Hülle sei: ein Kanal – ein Tool gewissermaßen – um dem Glauben an Gott Ausdruck zu verleihen.

Tja, die Sache mit der Augenhöhe … 

Selbstverständlich kann ich nachvollziehen, dass dieser Ausdruck zunächst einmal abstrakt ist. Und versucht man «Augenhöhe» mit anderen Begriffen zu übersetzen (etwa: gleichbedeutend, ebenbürtig, gleichwertig), dann kann ich erst recht verstehen, dass das für einige glaubenden Menschen schwer zu fassen ist. Was?! Kunst soll gleichbedeutend wie mein persönlicher Glaube an Gott sein? Was ein bisschen zugespitzt klingt, hat für mich durchaus einen wahren Kern.

Ich habe in den letzten Jahren durch die Kunst so viel über meine Spiritualität erfahren können. Und ich habe gleichzeitig so viele Parallelen zwischen Kunst und Glaube entdeckt, dass sich für mich heute das Bild von gleichwertigen Partnern viel stimmiger anfühlt als eine Hierarchie zwischen den beiden.

Dabei geht es mir übrigens auch gar nicht ums Rechthaben. Ich kann ganz gut damit leben, wenn Menschen die Kunst einfach nur als «Mittel zum Zweck» sehen; als Dekoration, als Kanal, über den sich etwas – eben zum Beispiel der christliche Glaube – kommunizieren lässt. Diese Ansicht stehen zu lassen, gehört für mich genauso zum Prinzip der Augenhöhe dazu. Ich für meinen Teil habe Kunst jedoch immer als «mehr als das» erlebt.

Hier deshalb eine unvollständige Liste von Gedanken und Fragen, die mich seit Jahren erheitern, beschäftigen, weiterbringen – und mich manchmal auch verzweifeln lassen:

  • Mir gefällt die Tatsache, dass Karl Barth, der wohl bedeutendste Theologe des 20. Jahrhunderts, Gott als den «ganz Anderen» beschreibt, der sich nicht unseren Erwartungen unterwirft oder sich aus ihnen ableiten lässt. Gleichzeitig kommt Bice Curiger, eine der bedeutendsten Stimmen und Frauen in der Kunstwelt der letzten Jahrzehnte, zum Schluss, dass Kunst uns erlaubt «Dinge und den Reichtum der Welt anders zu sehen und außerhalb des rationalen Alltagsdenkens zu erleben».
  • Wenn mir Leute sagen, dass Kunst nicht Gott sei, sondern nur ein Versuch, ihn abzubilden (dem stimme ich übrigens vollkommen zu), dann erlaube ich mir jeweils gerne die Bemerkung, dass dasselbe auch auf ihren Glauben zutrifft.
  • Mich motiviert der Gedanke, dass mein Glaube und meine Kunst mit derselben Herausforderung konfrontiert sind: dass ein Glaube, den man nicht versteht, dasselbe Problem hat wie Kunst, die man nicht versteht.
  • Mich beschäftigt die Tatsache, dass mir oft irgendein Lied an irgendeinem Konzert mehr Hoffnung und den Glauben an einen guten Gott, der uns zur Menschlichkeit berufen hat, schenkt als eine Predigt oder ein Lied im Gottesdienst.
  • Ich finde es faszinierend, dass sich die Kunst etwa in der katholischen Kirche über viele Jahrhunderte von ihrer ursprünglichen Rolle der «ancilla ecclesiae» (Magd der Kirche) offiziell zu einer eigenständigen Deutung und Darstellung der Welt und somit zu einer gleichberechtigten Partnerin entwickeln durfte. Papst Johannes Paul II etwa schrieb 1999 pointiert: «Die Kirche braucht die Kunst. Braucht die Kunst die Kirche?»
  • Ich finde den Unterschied erfrischend, dass Kirche von der Bibel ausgeht, die Kunst jedoch vom künstlerischen Subjekt. Wo einige Konflikt wittern, sehe ich Chancen der Ergänzung.
  • Mir gefällt der Gedanke eines freundschaftlichen und zugewandten Dialogs zwischen Kunst und Glaube. Zwei, die sich nicht streiten, sondern gemeinsam staunen und voneinander lernen wollen.

Die Kunst ist mir in den letzten Jahren oft zu einer Lehrerin und unter dem Strich zu einer treuen Freundin geworden. Ohne sie würde ich heute definitiv anders glauben, würde vielleicht gar nicht mehr glauben.

Kunst nur als Kanal? Als Transportmittel, eine leere Hülle? Ich kann diese Meinung so stehen lassen. Aber ich vermute ein bisschen mehr dahinter. Ist nur so ein Gefühl …

 

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