Die ohne BH studiert Schauspiel. (War ja klar.)
Die, die sich flüsternd vorstellt, will Lyrik schreiben. (Süss!)
Der Drehbuchautor aus Wien ist Linkshänder. (Warum überrascht mich das nicht?)
Die mit dem Resting Bitch Face vergewissert sich, dass sie keine Abschlussarbeit einreichen muss. (Hat dich deine Mutter gezwungen, oder was?)
Die Dozentin zittert der Raucherpause entgegen. (Schwer verdientes Geld!)
Die mit der asymmetrischen Frisur setzt sich mit einem flotten Spruch über den Auftrag der Dozierenden hinweg. (Du bist die Rebellin im Raum, habs verstanden.)
Einer spricht von seiner schrecklich unleserlichen Handschrift und heimst dafür gleichzeitig Komplimente ein. (Kein Kommentar)
In den Texten der Meisttätowierten spielen Körperflüssigkeiten eine große Rolle. (Willst du mich damit schockieren? Ich habe vier Kinder geboren!)
Die mit dem minimalistischen Look schließt ihre Augen und atmet hörbar ein und aus. (Intro, got it!)
Niemand will sie haben, aber alle haben sie: Vorurteile. Schublade auf, Meinung rein, Schublade zu. Auch bei mir geht das so. In der ersten Lehrveranstaltung einer Weiterbildung, die ich an der Zürcher Hochschule der Künste absolviere, staune ich über die bunten Vögel um mich herum und tappe mit großen Füßen in die Vorurteilsfalle. Vom Sichtbaren, schließe ich auf das Unsichtbare. Die Wissenschaft erklärt mir wertneutral, warum ich das tue.
Das menschliche Gehirn ist klein. Es ist darauf angewiesen, zu vereinfachen und zu gruppieren. Vorurteile erleichtern die Denkarbeit.
Wie ein Paradebeispiel dafür, versuche ich durch Zuschreibungen, Ordnung in den bunten Haufen dieses Hochschulkurses zu bekommen.
Als Central Arts sind wir immer wieder mit einem ganz bestimmten Vorurteil gegenüber Kunstschaffen, das nicht in den gängigen, kirchlichen Formaten stattfindet, konfrontiert. Daraus wachsen Überzeugungen wie: Die Worshipleiterin hat ein reines Herz, der Popsänger ist ein stolzer Selbstdarsteller. Wer im Gottesdienst prophetisch malt, bereichert das Kollektiv mit seinen Gaben. Kunst, die im Atelier entsteht, hat nichts mit Gottesdienst zu tun. Wer Worshipsongs schreibt, leiht uns Gläubigen wertvolle Worte, spielt jemand ein zehnminütiges Jazzstück, wissen wir nicht, was wir in dieser Zeit mit uns anfangen sollen.
Es wird scharf getrennt. Zwischen Show und Anbetung, Selbstlosigkeit und -verwirklichung, Sinnerfülltem und Nonsense, zur Ehre Gottes oder der Menschen, okaye Kunst und nicht okaye Kunst.
Ich halte wenig von solchen Entweder-Oder-Schubladisierungen. Meiner Meinung nach gibt es Ansätze, die dem Bedürfnis unserer Gehirne nach Vereinfachung und Gruppierung entgegenkommen, ohne dabei auf so undifferenzierte und brutale Art und Weise Trennlinien zu ziehen. Zwei Beispiele:
- Brian Doerksen, (weltbekannter Worshipleader und Songwriter) den wir Anfang dieses Jahres für ein Konzert und mehrere Masterclasses in der Schweiz zu Besuch hatten, sagte:
«Wenn Menschen etwas erschaffen, dann gibt es nicht Heiliges (sacred) und Unheiliges (secular). Grundsätzlich ist alles heilig, bis wir bewusst entscheiden, etwas zu pervertieren oder zu entweihen (desecrate).»
- David Zwirner, Star-Gallerist aus New York, sagte kürzlich in einem Zeitungsinterview, es gäbe unter den Künstlerinnen und Künstlern eigentlich nur zwei Kategorien. Gottsucher und Piruettenexistenzen. Sein Vokabular hat mich aufhorchen lassen. Gottsucher seien die Sehnsüchtigen, Berufenen, die nicht anders können. («The only thing I know is that I paint because I need to.» (Frida Kahlo)) Die Piruettenexistenzen hingegen sind die, welche sich immer in diese Richtung des Marktes wenden, die gerade Konjunktur hat. Und dabei Gefahr laufen, sich um sich selbst zu drehen.
So viel ist für mich klar: Ich will nicht nach der Pfeife meines steinzeitlichen Gehirns tanzen und Menschen um mich herum innerhalb von Sekunden in einer Schublade versorgen. Und die Schubladen «heilig» und «säkular» existieren bei mir nicht. Das Problem dieses edlen Vorhabens: Stereotypen sind unglaublich resistent. So einfach kriegt man die auch beim besten Willen nicht los.
Der amerikanische Psychologe Gordon Allport, ein Pionier der Vorurteilsforschung schlägt vor, über Begegnung Vorurteile zu reduzieren.
Notiz an mich: Nächsten Freitag in der Pause nicht aufs Klo verkriechen! Asymmetrische Frisur und/oder unleserliche Handschrift und/oder Resting Bitch Face ansprechen! Vielleicht steckt ja eine Gottsucherin dahinter.