Fynn und der Tod

«Eine Epoxidharz-Wand voller Kruzifixe? Weird!», denke ich, «Das hatte ich nicht erwartet. Warum so viele Christusse an Holzkreuzen?» Ich schaue mich weiter um. Immer wieder Kreuze, überall, gemalt, gezimmert, aufgehängt, auf dem Boden liegend. An sich auch nicht so verwunderlich, passt ja zum Thema. 

Eher zufällig bin ich an einem Freitag Mitte Januar in Fynn Kliemanns Kunstausstellung «TOD» gelandet. Als Theologin bei Central Arts die neue Ausstellung des Daniel Düsentriebs der deutschen Popszene zu besuchen, bei der er Facetten unserer Endlichkeit behandelt, ist vielleicht gar nicht mal so eine schlechte Idee. 

Neben den vielen Kruzifixen sind es Titel wie «Das letzte Abendmahl», Begriffe wie «Glauben und Denken» oder «Faust Gottes», die mir immer wieder auffallen. Ein Werk spricht mich besonders an. Auf der Titelkarte lese ich : «LONG STORY SHORT. Geboren, gestorben, ohne all die schönen Sachen dazwischen.»

Sofort denke ich an eine Bemerkung des Theologen N.T. Wright, dass ihm im Glaubensbekenntnis zwischen «… geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gestorben, begraben,…» die Erzählungen über das Leben von Jesus fehlen — all die schönen Sachen dazwischen. 

Gegen Ende fällt mein Blick auf die Installation «EIN GEFÄß VOLLER CHANCEN», ein kugelförmiger Glascontainer voller Würfel und ich lese «Wähle weise, ist das Glas alle, bist du tot.» und denke an das antike Ritual, bei welchem ein Sklave dem siegreich einziehenden Feldherren bei seinem Triumphzug immer wieder mahnend ins Ohr flüsterte: «Memento mori – Gedenke, dass du sterben wirst.» 

Die ein oder andere Installation verstört mich zuerst («Geboren mit dem Tod» zeigt ein in Beton platziertes Kinderbett mit einem Mobile aus Kreuzen) und bei der Begehung von «ZITTERWALD» wird es mir etwas schwindelig. Aber ich verlasse die Ausstellung mit einem ruhigen und friedlichen Gefühl und nehme so etwas wie Versöhnung wahr. 

Fynns Kunst erzählt mir von den verschiedenen Aspekten des Lebens zwischen Fragilität und Resilienz: von der Hoffnung und dem Schicksalsschlag, der Bitte um Entschuldigung, dem Kontrollverlust, Einsamkeit und Gemeinschaft, Selbstschutz und Zumutung, von Heimat, Familie und Glück, von dem was bleibt, wenn ich nicht mehr bin, dem Alltagstrott und dem Umgang mit unserer Zeit. 

Und dabei ist der Tod immer irgendwie präsent, aber nicht bedrohlich, sondern eher nach Freiheit schmeckend.

Als ob sich jemand mit dem Tod und unserer irdischen Endlichkeit versöhnt hätte. Gleichzeitig sehe ich mich mit Fynns Frage konfrontiert, was denn bleibe, wenn nichts mehr bleibt und will ihm erwidern: «Da ist mehr als unser irdisches Dasein.» Aber ich habe den Eindruck, das ahnt er schon … 

Über die Epoxidharz-Wand mit den Kruzifixen erfahre ich später in einem Video von Fynn, dass sie eigentlich der Abgrenzung zum Christentum dienen sollte, im Sinne von «alle Jesus-Kreuze sind unter dem Epoxidharz versiegelt und haben keine Berührung mit der Ausstellung.« Leider war ihm dann das Harz ausgegangen, sodass einzelne Christus-Köpfe aus der Wand herausragen, «… als ob ich es nicht geschafft hätte, Christus verschwinden zu lassen. Er ist immer noch irgendwie in meiner Welt, da wo ich ihn nicht haben wollte.» Das lässt mich schmunzeln.

 

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