Wenn die Stille spricht

«Liegen Einkehrzeiten, Retreats und Auszeiten im Trend?», frage ich ChatGPT – und erhalte prompt eine ausführliche, positive Antwort mit Beweggründen, Statistiken und Zielgruppen. Wenig überraschend, denn ich finde mich selbst genau darin wieder: Immer mehr junge Erwachsene auf Sinnsuche, Berufstätige am Limit, Kreative, spirituell Interessierte und Christen zieht es an stille Orte – auf der Suche nach Entschleunigung, Balance und Gott – und finden sie auf Pilgerwegen, in Klöstern und bei anderen Retreats.

So auch ich. Fünf Tage verbringe ich im oberfränkischen Selbitz bei einer evangelischen Gemeinschaft. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mir bewusst Zeit nehme für Ruhe, Gebet, Schreiben und Lesen. Ich kenne den Rhythmus bereits: Morgen-, Mittag- und Abendgebet, gemeinsame (teils im Schweigen eingenommene) Mahlzeiten.

Was ich vergessen hatte: Ich habe mich für ein Gruppenprogramm angemeldet. Uups. Ich brauche kurz, um mich von meiner Vorstellung eines Einzel-Retreats zu verabschieden. Stattdessen treffe ich fast jeden Morgen und Abend auf meine Gruppe – wir singen, machen Körperübungen, beten, hören Impulse. Alles natürlich freiwillig. An zwei Abenden klinke ich mich aus.

Ein paar Dinge waren anders, als ich dachte – und so habe ich mir Fragen notiert, die ich mir beim nächsten Mal vorher stellen möchte. Vielleicht helfen sie ja auch dem ein oder der anderen, das passende Kloster- oder Retreat-Erlebnis zu finden:

Alleine oder in der Gruppe?
Will ich Gemeinschaft, Austausch, Anleitung – oder lieber ganz für mich sein? Ich habe gemerkt: Mein Innenleben ist Impuls genug. Zu viel Austausch überfordert mich. Langweilig wird mir fast nicht, und wenn, dann ist das okay.

Fester Rhythmus oder freie Gestaltung?
Die festen Gebetszeiten strukturieren meinen Tag wohltuend. Morgens und abends eine 20-Minütige, sich wiederholende und dadurch vertrauter werdende Gebetsliturgie mitzusprechen, richtet mein Inneres aus und bringt es nach einem stillen und doch ereignisreichen Tag wieder zur Ruhe. Das kurze Mittagsgebet ist wie ein Leuchtturm in der Mitte des Tages. Darüber hinaus genieße ich die Freiheit – stundenlang einfach nur sein, ohne Vorgaben.

Schweigen oder Gespräch?
Mein Alltag zeigt mir, dass Menschen da sehr unterschiedlich ticken und verschiedene Bedürfnisse haben. Mir persönlich hilft die äußere Stille und das Schweigen, Gott besser wahrzunehmen und selbst still zu werden. Es braucht Zeit, bis es in mir still wird. Mein Tagebuch wird zum Gegenüber, im Schreiben begegne ich Gott. Dann erlebe ich die Stille nicht als Leere, sondern entdecke darin Fülle. Das Angebot für Begleitgespräche nehme ich in diesen Tagen nicht in Anspruch. 

Bücher, Natur, Bewegung
Ist der Rahmen gesteckt, fülle ich ihn mit Waldspaziergängen, Verweilen in der Kapelle, Schreiben. Weil mir nach drei Tagen mit meinen eigenen Gedanken dann eventuell doch nach neuem Input ist, kommt die kleine Hausbibliothek wie gerufen: Ich lese das apokryphe Buch Judit und entdecke Bücher über Edith Stein, Dietrich Bonhoeffer und Teresa von Avila.

Nach fünf Tagen fühlt sich in mir vieles aufgeräumt an – friedlich, klar. Ich nehme Erkenntnisse, Fragen, Dankbarkeit und neuen Tatendrang mit. Und eben auch die Erkenntnis, dass ich das nächste Mal darauf achte, wirklich ganz alleine zu sein. 

 

Blogtext anhören