Ich kann nicht anders: Ich lese sie alle! Gebrauchsanleitungen sind keine fakultative Inspiration, sondern werden zuerst studiert, bevor losgelegt wird. Ja, ich gehöre zu der Sorte Mensch, die nicht ahnungslos handelt. Das ist bei Spielen nicht anders. Auch nicht bei solchen für Kleinkinder. Und glaubt mir, gerade in diesen Spielanleitungen entdeckt man so einiges.
Kürzlich probierte ich mit meiner dreijährigen Tochter am Wohnzimmertisch ein neues Spiel aus. «Kleine Köche» – so der Titel. Wir entdecken abstrakte Holzgemüse, diverse Spielplättchen und einen grossen Kochtopf, der im Schachteldeckel seinen Platz findet. Alles liebevoll gestaltet. Ich konsultiere natürlich die Spielanleitung. Wird ein Gemüse gewürfelt, soll das Kind es benennen. Soweit so klar. Doch dann bin ich verwirrt. Neben den eindeutigen Symbolen für Karotte, Kartoffel oder Tomate, gibt es da noch diese weisse, dreieckige Form. Pastinake? Knollensellerie? Auch die Anleitung nennt kein konkretes Gemüse dafür. Ich sage meiner Tochter, dass ich auch nicht genau wisse, was damit gemeint ist.
Sie kann – im Unterschied zu mir – gut damit umgehen.
Nun gäbe es mehrere Bewältigungsstrategien für das Problem der Unwissenheit. Denk dir zum Beispiel etwas aus und akzeptiere es. Ist ja nur ein Kinderspiel! Oder, wie es aktuell im Trend liegt, befrage eine KI wie «ChatGPT». Ein Dani kennt noch eine weitere Option. Die ist witzig und spießig zugleich: Beim Kundendienst des Spieleherstellers nachfragen.
Ich sag es, wie es ist, ich habe diese E-Mail geschrieben. Die offizielle Antwort darauf lautete: «Hallo Herr Gut (…) nach Rücksprache mit unserer Spieleredaktion wurden die Gemüseteile nicht explizit benannt, weil nicht jedes Kind jedes Gemüse mag. Sie können das Gemüse frei wählen. Je nachdem, welches ihr Kind gerne isst. Bei weiß zum Beispiel Kohlrabi.» Nach dieser Antwort hatte ich berechtigte Folgefragen, ließ die Spieleredaktion aber vernünftigerweise in Ruhe.
Etwas nicht zu wissen, ist urmenschlich. Den Umgang damit zu finden, ist eine wichtige Charaktereigenschaft. Kann jemand zugeben, dass er oder sie keine Antwort auf eine Frage oder Problemstellung hat? Oder wird einfach mal was behauptet? Da wären wir zurück bei unserer KI-«Freundin» namens «ChatGPT».
Ich zucke ja immer innerlich zusammen, wenn ich den Satz «… und dann habe ich ‹Chat GPT› gefragt» höre.
Eine KI antwortet selten bis nie mit «Ich weiss es nicht». Genau das macht mich ihr gegenüber skeptisch. Eine KI weiss ja genau genommen nichts. Sie errechnet nur die wahrscheinlichste Antwort und bei unklarer Datenlage wird sie einfach etwas behaupten. Es wird «halluziniert», wie man Lügen in der KI-Fachsprache nennt. Grundsätzlich werden die Modelle immer zuverlässiger, trotzdem sind Falschinformationen oder faktenfremde Behauptungen keine Seltenheit. Laut «Open AI» (die Firma hinter «ChatGPT») halluziniert es nur noch in ungefähr fünf Prozent der Fälle. (Jede zwanzigste Antwort eine Halluzination? Das finde ich nicht gerade wenig.)
Lustigerweise wird aktuell an einer «Unsicherheits-Funktion» gearbeitet, um öfter «Ich weiss es nicht» als Antwort zu provozieren. Der Grund dafür: Es würde unser Vertrauen in die KI erhöhen. Verständlich. Uns sind ja auch Personen, die uns ehrlich sagen, wenn sie etwas nicht wissen, tausendmal sympathischer als die, welche uns «die einzige Wahrheit» verkaufen möchten.
«Nichtwissen» als Chance im kreativen Prozess zu sehen, nehme ich mir zu Herzen. Es macht mich menschlich. Ich möchte Unwissenheit nicht als Schwäche betrachten, sondern mich gerne auf die Suche nach Antworten machen. Und auf diesen Reisen akzeptieren, dass ich da und dort Dinge unbeantwortet ruhen lassen muss. Definitiv eine Kunst für sich.
Zu meinem Holzgemüse meinte «ChatGPT» übrigens: «Das abgebildete Gemüse scheint ein Stück Weißkohl oder Chinakohl darzustellen.» Na dann: Guten Appetit!