Ein Brief an den Frieden

Die Kommunikationsdesignerin und Autorin Eva Jung hat vor Jahren begonnen, Briefe an Gefühle zu schreiben. Der erste Brief war an die Angst adressiert. Dieser hier, an den Frieden. Entstanden im Rahmen unserer aktuellen Spendenkampagne «peace – CrowdFunThing25». Getippt mit der Schreibmaschine. Keine leichte Aufgabe. Es erfordert Kraft in den Fingern und Mut im Herzen. Denn: Es gibt kein Zurück. Was getippt ist, ist getippt. So hat sich Eva ohne festen Plan, mit demütiger Vorsicht was das Thema angeht, aber mit viel Vehemenz in den Fingern auf ein Experiment eingelassen. Das muss man sich erstmal trauen. Großartige Schreibkunst!

Lieber Frieden,

ich habe nachgedacht. Bist du ein aktiver Typ? Oder eher passiv? Irgendwie bist du doch nur da, wenn der Unfrieden vertrieben wurde. Kannst du überhaupt ohne Unfrieden existieren? Gibt es dich nicht vielmehr immer in dieser unschönen Gesellschaft? Und das Vertreiben des Unfriedens, ist das nicht auch schon wieder so ein Move, den man eher aufs Konto vom Unfrieden verbuchen würde? Ich muss mal nachschauen… Frieden ist männlich – Unfrieden auch. Ist das nur im Deutschen so? Was sagen Menschen in Frankreich oder Spanien zu dir? Sekunde – ich schaue das kurz nach. Oh, kann ich gar nicht, weil mein Telefon ja gerade aufnimmt. 🙂 (Habt ihr schon mal mit einer mechanischen Schreibmaschine Smileys getippt? Voll lustig. Musste die Schreibmaschine auch erst mal lernen.) Aber egal, ich war beim Artikel stehen geblieben. Die Recherche muss ich wohl auf später verschieben. Oder warte, ich mach kurz Pause… Okay, ich bin jetzt schlauer: Sowohl Französisch, als auch Spanisch DIE also dort ist der Friede weiblich. ABER: DER Krieg ist dort ebenfalls weiblich. Bin ich wirklich schlauer? Hmmm … Ok, ich wollte mir noch was anderes vorstellen. Folgende Szene: Menschen sitzen an einem Tisch. Essen ist vorbereitet, leckere Getränke, alles sieht schön aus. Fast wie an Weihnachten. Aber mit am Tisch sitzt auch der Unfrieden. Blöde Voraussetzung. Aber ist halt manchmal so. Das Leben ist kein Picknick …äh?!

Okay, dieser Unfrieden ist da und redet mit. Wie werden wir ihn los? Kommst du dazu … und dann geht er freiwillig?

Unfrieden? Freiwillig? Müssen wir den Unfrieden gemeinsam rauswerfen? Lieb auf ihn einreden, bis er keinen Bock mehr auf uns hat? Schweigen? Wie wird man dieses griesgrämige Ding los? Redet immer dazwischen. Hat auf alles eine (meistens viel zu einfache) Antwort. Aber ist nicht von seinem Stuhl zu kriegen. Kommst du dann, du Frieden und schmeißt ihn für uns raus? Erkennen wir dich dann noch als Frieden? Was muss passieren? Wie gehst du vor? Ernstgemeinte Frage! Ich stell mir vor, der Unfrieden geht, irgendwann hat er das Interesse verloren. Bist du dann unmittelbar da, Frieden? Oder warst du schon die ganze Zeit da? Bist du auf den Schultern der Anwesenden gesessen? Hast ihnen was Gutes – nur Gutes natürlich – ins Ohr geflüstert? Oder warst du laut? Bist du zwanghaft? Wie kann ich mit friedlichen Mitteln den Unfrieden überzeugen? Kannst du mir bitte Nachhilfe geben? Bitte sag doch mal was! Wir brauchen deinen Rat. Bitte sei nicht so passiv! Was sollen wir tun, wenn die Gewehrkolben, die Panzer auf uns ausgerichtet sind? Wenn sie uns ungefragt und ungewünscht verfolgen? Wie können wir das Böse abschütteln? Gibt es dich, Frieden, wirklich allein? Oder existierst du nur, wenn es auch Unfrieden gibt? Was ist eine Welt, in der es nur Frieden gibt? Würden wir dich dann überhaupt wahrnehmen? Oder bist du dann unsichtbar?

Bist du langweilig? Ehrliche Frage! Irgendwie haben doch alle Bock auf Wasserspritzpistolen, auf Herausforderung. Auf den Wettbewerb. Gäbe es Spiele, wenn es keine Gewinner gäbe? Würden Verlierer existieren ohne Gewinner? Bist du ein Verlierer???? NEIN!

Ich möchte nicht, dass du der Verlierer bist! Das wäre ja die Hölle! Der Unfrieden soll verlieren. Aber wie machen wir das, so dass keiner als Verlierer rausgeht? Oder geht das einfach nicht: Keine Verlierer? Muss der Unfrieden unbedingt verlieren? Ja irgendwie schon. Auf jeden Fall muss er aus dem Raum. Im Zweifel müsst ihr beide raus?! Aber, was bleibt dann, wenn der Friede und der Unfriede nicht mehr da sind? Bei dem Gedanken verheddert sich hier alles … Okay, nehmen wir an, ihr seid beide weg. Nur noch wir Menschen, das gute Essen, gute Getränke, guter Nachtisch, Haupt- und Vorspeise. Ginge das so? Müssen wir euch beide aussperren? Das klingt irgendwie falsch. Kommt mir aber im Moment am sinnvollsten vor. Wir übertexten hier gerade alle möglichen Formen von Waffen. Ist das friedlich? Oder dränge ich mich mit meinem Getippe einfach absichtlich in den Vordergrund? Ich merke schon, ich kann dir nur schreiben. Zu einem echten Ergebnis werde ich ohne dein Mitwirken – deine – Antwort nicht kommen. Briefe schreiben ist eine Einbahnstraße. Zumindest zunächst. Ich hoffe auf Antwort. Vielleicht bekommen die anderen, die bei dieser Aktion mitmachen, ja eine gute Antwort von dir. Oder kann man dich nur schön malen? Am Ende bleibst du schön kraftlos? Uaaaaa, das möchte ich mir nicht vorstellen. Ich finde, du bist megakräftig, wenn du mal so richtig zur Anwendung kommst. Andererseits: Ist das nicht schon wieder irgendwie unfriedlich, sich so über den Unfrieden zu erheben? Arrrrrrg!!! Oh, ich glaube, das Blatt und meine Fingerkraft gehen zu Ende. Ich bitte dich inständig zum Schluss: BITTE antworte uns! Wir brauchen dich sooooooo dringend!! Kennst du meine Anschrift? Kennst du mich überhaupt? Zähle ich zu deinen Komplizen, sorry, Komlizinnen? Bitte nimm mich an die Hand und begleite mich. Lass mich nicht los. UND BITTE antworte uns. Es ist gerade sehr gefährlich, überall. Im Kleinen wie im Großen. Du fehlst an allen Ecken und Enden. Ich lade dich ein: Bleib bei uns und gib uns Kraft und Sprachfähigkeit. Und Weisheit! Bitte, danke, Amen! PS: Für unser diesjähriges CrowdFunThing haben neun Künstlerinnen und Künstler aus unserem Netzwerk Beiträge zum Thema Friede kreiert. Schau dich hier um! Danke für deine Spende.

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