Ich leide unter einer Krankheit. Genannt wird sie das Impostor-Syndrom. Seit einigen Monaten beschleicht mich das Gefühl, anderen vorgemacht zu haben, kompetenter zu sein, als ich es tatsächlich bin. Das war aber nicht immer so.
Als Kind und auch in meinen Jugendjahren habe ich meine Kreativität in verschiedenen Formen zum Ausdruck gebracht. Ich habe gerne gezeichnet, kurze Geschichten geschrieben oder Gitarrenunterricht besucht. Aber nichts davon packte mich so, dass ich mich darin verliebt hätte. Es war für eine Weile schön, spannend und neu – bis es das nicht mehr war. Für mich wurde es normal, ein allgemein interessierter Mensch zu sein, kein Spezialist. Kein Wunder also, dass ich zur allgemeinsten Berufsgattung der Schweiz ausgebildet wurde: Zum Kaufmann. Ich wusste es nicht besser. Lieber auf Nummer sicher gehen. Vielleicht auch lieber den Weg des geringeren Widerstands wählen.
Und gleichzeitig habe ich die Menschen bewundert, die so richtig in eine Materie eintauchen können. Dem Rabbit Hole bis ans Ende folgen, um in ihrer Disziplin zu genialen Expertinnen oder Experten zu werden. Diese Fragen beschäftigen mich auch heute noch: Hat Gott einfach zwei Arten von Menschen geschaffen? Jene, die sich in die Tiefe entwickeln und andere, die sich in der Breite orientieren?
Nach dem Abschluss meines Journalismus-Studiums merkte ich, dass die Ausdrucksform des Filmemachens mir am nächsten liegt. Ich konnte schon einige Erfahrungen sammeln. Obwohl ich noch am Anfang der Reise stehe, fasste ich mir dieses Jahr ein Herz und stellte mich als Filmemacher vor. Im vollen Bewusstsein darüber, dass ich das höchstens am Werden bin. In diesen Momenten plagt mich das Gefühl des Impostor-Syndroms ungemein. Und doch merke ich einen Unterschied, seit ich mich selbst als Filmemacher bezeichne. Als hätte ich eine Realität ins Leben gerufen, die sich zwar entwickelt, aber zu Teilen bereits real ist. Und jetzt kommt das Beste: Je mehr ich mit anderen über das Syndrom rede, umso bewusster wird mir, dass viele um mich herum genauso daran leiden.
Und das ist gut so.
Ich sehe darin nämlich weniger eine Meute von verlogenen Hochstaplern, die sich alle selbst etwas vormachen, sondern Menschen, die an sich glauben. Und sich bewusst in Positionen bringen, in denen sie nicht alles unter Kontrolle haben. Die Wohlfühlzone wird verlassen, weil die Möglichkeiten, die sich hinter dieser Grenze verbergen, zu spannend sind, um sie zu verpassen.
David Bowie hat das 1997 im Film Inspiration, in dem sieben Künstlerinnen und Künstler darüber erzählen, warum sie Kunst machen und was es bedeutet, kreativ zu sein, ziemlich gut auf den Punkt gebracht:
«If you feel safe in the area that you’re working in, you’re not working in the right area. Always go a little further into the water than you feel you’re capable of being in. Go a little bit out of your depth. And when you don’t feel that your feet are quite touching the bottom, you’re just about in the right place to do something exciting.»