Ich will ehrlich mit euch sein … Diese Schnittstelle von Popkultur und Kirche, an der wir uns mit Central Arts bewegen, fordert mich heraus. In Smalltalk-Situationen kann ich die irritierte Reaktion meines Gegenübers auf die Info, dass ich als Theologin bei einem Netzwerk für Kunstschaffende in Popkultur und Kirche arbeite, durchaus nachvollziehen:
«Popkultur und Kirche? Wie soll das denn zusammen gehen? Das kann ich mir nicht vorstellen!» Vorstellen kann ich mir das schon, ich erlebe es ja in meinem Alltag, das geht schon ganz gut.
Aber mich bewegen dabei immer wieder theologische und kulturelle Fragen, auf die ich nicht so recht abschließende Antworten finde. Bei Platon lerne ich, dass sich für den Weg zur Wahrheits- und Antwortfindung der Dialog gut eignet. Also möchte ich ein Gespräch eröffnen – obwohl, eröffnet ist es schon, ich bin ja nicht die Erste, die das Thema bewegt. Ich möchte mich also in das Gespräch einbringen. Mit ein paar ehrlichen Fragen und einem offenen Blick auf Christen in der Popkultur und auf die christliche Popkultur. Dabei erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und freue mich auf Ergänzung!
Ich starte mit der These, dass Popkultur und der christliche Glaube in ihrem Grundwesen gegensätzlich sind und ihre Beziehung daher spannungsreich ist.
Knapp zusammengefasst wird es besonders deutlich: Popkultur entsteht im 20. Jahrhundert und verspricht Glück und Erfüllung im Konsum, in der Unterhaltung, in der Selbstverwirklichung, in der Attraktivität und Aktualität. Der Christ dagegen findet sein Glück in der Gemeinschaft mit Gott, in der Selbstaufgabe, im Loslassen von materiellen Gütern, im Vertrauen auf jahrhundertealte Wahrheit. Christen, die in der säkularen Popszene tätig sind, werden diese Spannung kennen und in und mit ihr leben (müssen). Im Blick auf die christliche Popkultur frage ich mich aber, ob es sinnvoll ist, beides miteinander zu vereinen.
Dafür spricht, vorausgesetzt man hat evangelistische Ambitionen, dass die christliche Popkultur einen niederschwelligen Zugang zum christlichen Glauben darstellt, da sie leicht zugänglich, ansprechend und gut verständlich ist. Zudem, auch abseits von Evangelisation, spricht sie die breite Masse, das Volk (popolus), an und ist, auch für die Gemeinde, mehrheitsfähig. Jesus, die erste Kirche, Paulus, Luther – alle haben innovative und zeitgemäße Formen genutzt, um vom Evangelium zu erzählen, und die breite Masse zu erreichen – also nutzen wir doch auch heute die gängigen Formen. Solange es die richtigen Inhalte sind, ist die Form doch egal. Dem würde ich widersprechen wollen, denn die Form spricht. Form und Inhalt bedingen sich und bestimmte Inhalte brauchen passende Formen.
In einem Reel mit doppelter Geschwindigkeit von Kontemplation und Entschleunigung zu sprechen, passt nicht zusammen.
Den komplexen, vielfältigen christlichen Glauben in die einheitliche und attraktive Form der Popkultur zu gießen, fällt mir schwer. Andererseits kam uns Gott in Jesus nah, beschränkte sich, wurde Mensch, offenbarte sich, wurde verständlich(er) und zugänglich. Gott begegnet Menschen da wo sie sind.
Außerdem: Zu jeder Zeit an jedem Ort wurde das Christentum von seiner Umgebungskultur beeinflusst. Die christliche Popkultur ist daher ein authentischer Ausdruck von Glaubensüberzeugungen einer von der Popkultur geprägten Christenheit. Kann man so stehen lassen, darf (und muss!) man aber auch kritisieren. Denn mir stellt sich dabei die Frage, inwiefern die christliche Popkultur den Kern des christlichen Glaubens widerspiegelt.
Die christliche Popkultur unterliegt, trotz der christlichen Inhalte, allein aufgrund der Form, den Mechanismen und Werten der Popkultur.
Dadurch fördert christliche Popkultur ein Konsumchristentum, das geprägt ist von Attraktivität, Schnelllebigkeit, Selbstdarstellung, etc. Für mich steht damit in Frage, ob die christliche Popkultur Menschen tatsächlich dient und sie darin fördert, als Christen zu leben, die in ihrem Charakter vom Evangelium geprägt sind, d.h. liebevoll, selbstbeherrscht, demütig, geduldig, etc. Ich persönlich sehne mich nach Jesus-Nachfolgern, nicht nach Jesus-Konsumenten.
Dabei überzeugt mich auch ein Gedanke des Theologen James K.A. Smith. Er begreift den Menschen als «liturgisches Wesen», d.h. dass der Mensch maßgeblich von dem geformt wird, was er regelmäßig bewusst tut. Als Menschen sind wir keine «brains on a stick», sondern geschaffen als Einheit aus Körper, Geist und Seele.
Was uns als Menschen formt, sind dann weniger die richtig guten Inhalte und Überzeugung, sondern vielmehr die Formen, die uns umgeben, in die wir uns bewusst stellen und die wir uns selbst geben.
Ein Popsong mit christlichen Inhalten hat dann zwar eine christliche Botschaft, bleibt in der Form aber unterhaltsam, beiläufig und angenehm.
Nun kann man diesem Grundverständnis von Popkultur natürlich auch widersprechen und erwidern, dass Pop als Kunstform durchaus auch einen künstlerischen Anspruch hat und nicht nur Unterhaltungsmedium ist. Dieser Anspruch besteht u.a. darin, Missstände anzusprechen und Vision zu kreieren, zu irritieren und zu beleben, menschlichem Erleben authentisch Ausdruck zu verleihen und zur Aktion zu bewegen. In diesem Anspruch erkenne ich dann tatsächlich Übereinstimmungen von christlichem Glauben und popkultureller Kunst (mehr dazu in «Was Künstler und Propheten gemeinsam haben»). Außerdem würde ich die Freude, die Leichtigkeit und die Zugänglichkeit als gemeinsame Nenner bezeichnen.
Darüber hinaus frage ich mich aber natürlich weiter, wie es gehen kann, den christlichen Glauben in seiner Gänze popkulturell darzustellen. Weiß das jemand?